[Predigt als MP3]
Wir wollen uns heute einen einzigen Satz aus der Bibel noch mal genauer anschauen. Und ihr kennt diesen Satz, denn es ist die Jahreslosung vom letzten Jahr. Vielleicht hat ja auch mal einer darüber gepredigt, So wie du oder andere. Keine Ahnung, weiß ich nicht, sag ich mal. Dass ist dieser Satz „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Um diesen Vers soll es heute Morgen gehen. Ich werde dazu dann auch einige ganz praktische Beispiele gegen Ende der Predigt erzählen, wie wir das – so wie wir mit Menschen umgeben sind, die das so erlebt haben – wie wir das selbst so erlebt haben.
Weil ich das für etwas sehr Kostbares halte. Dass wir nicht an eine Idee glauben. Dass wir nicht an einen toten Götzen glauben, sondern dass wir glauben dürfen an einen Gott, der uns ganz persönlich sieht.
Wenn man mal nachschaut: „Wer hat eigentlich dieses Bekenntnis?“ – das ist ja ein Bekenntnis: „Du bist ein Gott, der mich sieht“; es ist die Formulierung einer Erfahrung: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ – wenn man mal nachschaut, wer hat eigentlich dieses Bekenntnis zuallererst gesprochen, dann finden wir in der Bibel, dass das eine ägyptische Magd war: Hagar.
Und ich gehe mal davon aus, dass sie als Ägypterin keine Jüdin war. Eigentlich. Von ihrem Ursprung her. Und doch formuliert sie nachher diesen Satz: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Sie ist natürlich aufgewachsen – oder hat gelebt – mit Abram und Sarai, dem Glaubensvater aus dem Alten Testament und seiner Frau. Und von daher hat sie wahrscheinlich schon etwas mitbekommen. Dass Abram und Sarai an einen – an diesen – Gott geglaubt haben. An diesen unsichtbaren Gott geglaubt haben. Nicht an eine Vielgötterwelt, sondern an diesen einen unsichtbaren Gott. Aber ich denke, sie selber hatte noch keine Erfahrung an dieser Stelle.
Und wenn wir mal nachschauen, aus welcher Situation heraus kam Hagar eigentlich zu dieser Erfahrung: „Gott ist ein Gott, der mich sieht“? – dann ist es ganz interessant, wenn wir nach 1. Mose 16 gehen, denn dort steht dieser Satz: erste Mose 16, Vers 13 – dann merken wir: Hagar empfängt diese Erfahrung mitten in einer Krisensituation. Und zwar hinein in eine Krisensituation, die für sie äußerst schmerzlich und äußerst bedrohlich war. Ich schildere das gleich noch ein stückweit.
Aber wenn heute jemand vielleicht da ist und in so einer schmerzlichen Situation ist, oder in einer bedrohlichen Situation ist, dann möchte ich ihm zusagen: Genau das kann die Situation sein, wo wir die Erfahrung machen: „Es gibt einen Gott, der mich sieht.“ Ja, ich würde sogar sagen, es sind oft die Krisenzeiten unseres Lebens, wo wir etwas von Gott erfahren, was wir außerhalb dieser Krisenzeit so nie von Gott erfahren hätten.
Wir Menschen haben immer Angst vor Krisen. Und das ist ja auch logisch, weil Krisen sich nicht gut anfühlen, weil Krisen nicht schön sind. Aber Krisenzeiten haben auch ihre Chance. Und Krisenzeiten sind oft äußerst wertvoll im Leben von Menschen. Im Moment gibt es ein Ehepaar bei uns in der Umgebung in Hutthurm, wo ich ja lange Jahre Ältester war. Die durchleben so eine Krisenzeit. Die Frau war schwanger bis in den achten Monat. Sie haben sich total gefreut auf ihr drittes Kind. Auf einmal spürt die Frau keine Kindsbewegungen mehr. Sie besprechen das noch in der Gemeinde. Da gibt es noch Frauen, die sagen „Bei mir war das auch eine Zeit lang so, ich habe auch mal ein paar Tage keine Kindsbewegungen gespürt“, usw. Und auf einmal wird klar: das Kind ist tot. Abgestorben. Die Frau hat ein totes Kind zur Welt gebracht. Etwas, was sehr, sehr schwer ist. Nächste Woche wird da die Beerdigung sein. Ja, in ungefähr einer Woche wird da die Beerdigung sein. Eine sehr, sehr schwierige Situation für das Ehepaar. Für das Umfeld. Ganz, ganz schwer. Und trotzdem vielleicht eine Situation, in der sie erleben können: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Es gibt ja Bekenntnisse, die formulieren wir Menschen aus der bloßen Theorie heraus. Der Hiob hat einmal das so gesagt „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen.“ Und dann gibt es aber auch Bekenntnisse, die formuliert ein Mensch aus dem echten tiefen Erkennen. Und oft steht vor dem Erkennen ein Erlebnis; eine Erfahrung.
Und diese Bekenntnisse haben immer einen besonderen Stellenwert. Der Hiob sagt es dann: „... aber nun hat mein Auge Dich gesehen!“ Was ist das für ein Unterschied, ob ich etwas über Gott formuliere vom Hörensagen, oder ob ich etwas über Gott formuliere, weil mein Auge Ihn gesehen hat? Was für ein Unterschied! Ich glaube, ein ganz, ganz, ganz gewaltiger Unterschied!
Wenn wir uns nun die Frage stellen „Wie war das bei Hagar?“ In welcher Situation kam sie zu dieser Erkenntnis: „Es gibt einen Gott, der mich sieht.“? Dann merken wir, wenn wir erste Mose 16 aufschlagen: es war eine sehr, sehr schwierige Situation: sie wurde gedemütigt.
Hat schon mal jemand von uns richtige Demütigung erlebt? Weiß jemand von uns, was Demütigung ist? Ich glaube, wir leben in einer Zeit, wo wir so eine richtig tiefe, echte Demütigung eher seltener erleben. Aber wer Demütigung erlebt, der weiß, dass Demütigung vielleicht zu den schwersten Erfahrungen im Menschsein gehört.
Und es ist interessant, dass Hagar – die ja die Magd von Sarai war – auf diese schwerwiegende Erfahrung der Demütigung ganz spontan so reagiert hat: „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ Und die Bibel beschreibt uns dann: sie ist geflohen vor ihrer Herrin, vor Sarai. Wir beleuchten die Situation, den Hintergrund gleich noch ein bisschen näher. Aber sie ist geflohen vor dieser schwerwiegenden Erfahrung, dass sie gedemütigt wurde.
Das ist übrigens die Gefahr unseres Lebens: die Gefahr unseres Lebens ist, dass wir schwere Momente in unserem Leben erleben - und wir fällen Ad-hoc-Entscheidungen, zum Beispiel, aus dem Gefühl heraus: „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ „Unter diesen Umständen kann ich nicht leben!“ Oder wie auch immer. Und dann treffen wir Entscheidungen, die unser Leben in schwerste Konflikte oder in schwerste Krisen bringen.
Bei Hagar war das so. Sie ist geflohen vor Sarai. Aber man muss sich das mal vorstellen, was das bedeutet: sie war zu dieser Zeit schwanger! Sie verlässt den Ort, wo sie ein zu Hause hat! Wo hat sie denn geschlafen? In den Zelten von Abram. Wo hat sie denn ihre Nahrung hergehabt? Von Abram. Wo hat sie denn ihren Schutz hergehabt? Als Frau: durch die Sippe von Abram. Und sie verlässt das alles aufgrund eines Gefühls: „Ich kann unter diesen Umständen nicht leben!“
Sehr interessant ist, dass Gott, als er ihr begegnet, durch einen Engel, ihr nachher sagt „Geh zurück zu Sarai und demütige dich unter die Hand deiner Herrin.“ Das heißt im Grunde genommen, dass das, was Hagar als so schrecklich empfunden hat – dass sie sagt: „Ich kann hier keinen Moment weiterleben“ – das wird von Gott so eingeschätzt, dass Er sagt: “Ja, ich weiß: das ist eine Zumutung für dich. Ja, ich weiß: das ist schwer für dich. Aber es ist der bessere Weg für dich. Geh zurück. Und demütige dich unter die Hand deiner Herrin.“ Warum? Da hatte sie plötzlich wieder einen Ort zum Leben, zum Schlafen, zum Leben. Sie hatte Essen. Sie hatte Schutz. Sie hatte alles. Alles, was sie hier aufs Spiel gesetzt hätte, wenn Gott ihr da an dieser Stelle nicht begegnet wäre.
Die Bibel beschreibt also in Kapitel erste Mose 16, Vers 6, dass Sarai die Hagar gedemütigt hat. Wie ist diese Situation zustande gekommen? Denn das ist sehr interessant, wie die Situation zustande gekommen ist. Wir wissen, Abram und Sarai hatten kein Kind. Sie wurde nicht schwanger. Sarai wurde nicht schwanger. Sie waren schon lange verheiratet und sie wurde nicht schwanger. Und es war so dieses Denken in der Sarai drin: „Ich werde nicht schwanger! Ich werde nicht schwanger!“ Das war für eine Frau damals sehr, sehr wichtig: schwanger zu werden; Kinder zu haben. Es war natürlich auch die Verheißung Gottes im Hintergrund. Aus euch soll ein großes Volk werden. Und dann immer dieses Erlebnis, sozusagen: irgendwas ist hier ein Problem und ich kann nicht schwanger werden.
Und sie kommt auf diese Idee. Ihr kennt das – wer die Bibel gut kennt – sie kommt auf die Idee: „Ich habe ja eine Leibmagd. Ich gebe meine Leibmagd meinem Mann. Er soll mit ihr schlafen. Und wenn sie schwanger wird und dieses Kind dann auf meine Knie gebärt, dann ist es wie mein Kind!“ Das war ein altorientalischer Brauch. Also Leihmutterschaft gibt es schon lange. Das ist keine neuzeitliche Erfindung, sage ich mal. Diesen Brauch gibt es schon sehr lange. Den gab es damals auch schon im Alten Orient und Sarai kommt auf diesen Gedanken und sie gibt ihre Leibmagd Abram. Und die Bibel sagt er wohnte ihr bei und sie wurde schwanger.
Interessant ist: Hagar hatte da gar keine ... – gar nichts zu melden. Wir können mal davon ausgehen, dass sie nicht gefragt wurde: „Hagar? Möchtest du heute Abend mit deinem Herrn schlafen? Möchtest du gerne ein Kind zur Welt bringen von deinem Herrn?“ Sondern sie war Magd. Sie war Leibmagd. Sie war Sklavin, das heißt, sie wurde überhaupt nicht gefragt. Da gab es ein Autoritätsgefälle, dass überhaupt keinen eigenen Raum gab für das, was Hagar wollte.
Und es ist interessant, gerade in solchen Fällen. Es ist dann oft so, dass es eine Art Kompensation gibt. Das beschreibt die Bibel hier auch. Denn als Hagar schwanger wurde von Abram, lesen wir da: „Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering.“ Und die Sarai formuliert es dann so. „Ich habe dir meine Magd in die Arme gegeben. Nun aber, wo sie sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen.“
Ich glaube, es gibt im Leben immer wieder so einen Ausgleich. Da wird jemand ... – es wird über seinen Kopf hinweg bestimmt. Und gleichzeitig in dieser Erniedrigung erlebt er dann etwas, was ihn erhöht. Und das führt dann zu Hochmut. Und was mir an der Sache ganz wichtig ist: Wenn Hagar nachher in diese Situation kommt, dass sie Demütigung erlebt und dass die Demütigung für sie so schwerwiegend ist, dass sie flieht vor ihrer Herrin, dann ist das eine Mischung aus fremder Schuld und eigener Schuld. Wie und das sage ich jetzt mal ganz deutlich ich glaube, dass ganz viele Krisen unseres Lebens oft eine Mischung sind aus fremder Schuld und eigener Schuld.
Das gibt es natürlich, dass ich in eine Krise komme, und es ist gar nicht meine Schuld. Das gibt es auch, dass ich in eine Krise komme und es ist nur meine Schuld. Aber der überwiegende Teil der Krisen, die wir beobachten können in unserem eigenen Leben oder bei anderen Menschen, ist eine Mischung. Es ist eine Mischung aus fremder Schuld und eigener Schuld.
Und Hagar hat hier diese Mischung. Es war ihre eigene Entscheidung, dass sie diesen Hochmut gelebt hat. Sie hätte ihn ja vielleicht noch im Herzen empfinden können, aber nicht ausleben müssen. Aber sie hat ihn ja irgendwie ausgelebt, denn Sarai hat es ja empfunden: „Die schätzt mich gering!“ Also, wie auch immer, sag ich mal, es war ihre Entscheidung.
Natürlich ist es auch schlimm, wenn ein Mensch sozusagen stellvertretend zum Empfangen und Gebären herangezogen wird. Das ist ja vielleicht eine der tiefsten Wunden für eine Frau, wenn sie so als Leihmutter herhalten muss. Das, glaube ich, ist eines der schwersten Dinge, die ein Mensch erleben kann. Auf jeden Fall.
Und Hagar flieht. Das lesen wir hier: „Als nun Sarai sie demütigte, floh sie von ihr.“ Und dann lesen wir hier: „Aber der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur.“ Hagar läuft davon. Oder ein bisschen krass gesagt Gott läuft ihr nach. Und was wäre aus Hagar geworden, wenn Gott ihr nicht nachgegangen wäre? Habt ihr das mal überlegt? In einer orientalischen Welt? Als schwangere Frau? Schon entehrt, sage ich mal. Als schwangere Frau: unversorgt ohne Schutz. Das war hochgefährlich. Das war hochgefährlich. Gott geht ihr nach. Er sendet ihr einen Engel. Der Engel des Herrn sprach zu ihr – und es ist sehr interessant – „Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.“
Ich glaube, dass es Situationen in unserem Leben gibt. Da müssen wir bereit sein, Demütigung zu tragen. Ich kann mich erinnern in meiner Lehre, da hat mein Meister mich vor versammelter Mannschaft – hat er alle reingeholt – hat gesagt, ich wäre unfähig als Automechaniker, ich wäre gerade gut genug, Öl abzulassen. Alles andere könne man mir nicht übertragen. Was war der Hintergrund? Es kam ein Auto in die Werkstatt, da waren die Räder locker. Der Kunde hat es auf der Autobahn gemerkt und der ist ... – der hat getobt! – in der Werkstatt, drin – getobt hat der: was wir für eine Werkstatt wären! Der Meister hat nachgeschaut, wer an dem Auto gearbeitet hat. Ich habe an dem Auto gearbeitet. Da hat er mich vor versammelter Mannschaft gefragt, ob ich an dem Auto gearbeitet habe. Dann habe ich gesagt: „Ja, wenn es auf dem Ding steht, dann war ich es offensichtlich.“ (was soll ich jetzt da in Abrede stellen?) Und dann hat er mich vor versammelter Mannschaft – er hat sogar die Leute aus dem Büro raus alle reingeholt; alle waren da versammelt – und hat mich vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht.
Das war eine Woche vor meiner Hochzeit. Meine Frau hat das nicht erfahren, weil ich das für mich behalten habe. Das habe ich erst nach der Hochzeit erzählt. Ich war gottfroh, dass ich danach zwei Wochen Hochzeitsurlaub hatte. Und ich habe gezittert, wo der Hochzeitsurlaub vorbei war, weil der Meister hat noch gesagt, dass mein Geselle, der mich ausgebildet hat – der war im Urlaub – er hat gesagt: wenn der Geselle kommt, dann entlässt er ihn wegen mir; weil er das nicht kontrolliert hat.
Ich kam nach meinem Hochzeitsurlaub in die Werkstatt. Mich hat niemand angesprochen. Mein Geselle war noch da. Ich frage irgendeinen anderen Gesellen: „Gab es da noch ein Nachspiel wegen der Sache?“ Da sagt der: „Och, da sind in der Zwischenzeit noch viele Autos mit lockeren Rädern reingerollt; bei uns in die Werkstatt“. Da denke ich „Ohhhh! Du wirst doch nicht noch andere Autos nicht richtig angezogen haben?“
Und was hat sich herausgestellt? Der Es gibt so einen Drehmomentschlüssel. Der Drehmomentschlüssel, den wir alle in der Werkstatt benutzt haben. Wir hatten einen Drehmomentschlüssel. Da sind wir immer hingelaufen. Wenn wir Räder angezogen haben... – ...haben wir die [Schrauben] nachgezogen. Der Drehmomentschlüssel war kaputt! Der hat angezeigt – ... dass er richtig ... dass er richtig ... der knackt dann an einem bestimmten Punkt ... beim Knacken hörst du dann auf – der hat angezeigt, dass das richtige Drehmoment erreicht ist. Und der war defekt.
Mein Meister hat sich nie bei mir entschuldigt. Nie. Es wäre so einfach gewesen, wieder alle reinholen und zu sagen „Thomas, es tut mir leid, ich habe dir Unrecht getan.“ Er hat sich nie entschuldigt. Derselbe Meister hat mir später, als ich einen Fehler gemacht habe, von hinten mit der Hand – mit der Faust! – eine Kopfnuss auf den Kopf gegeben, dass ich eine halbe Stunde später immer noch Kopfweh hatte.
Es gibt Situationen im Leben, da muss man auch lernen, sich zu demütigen. Ich hätte ja wegspringen können. Ich hätte ja sagen können. Wisst ihr was? Unter so einem Meister arbeite ich nicht weiter. Aber mei! Es ist... – mein Vater hat mir beigebracht „Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Und dann bleibt man halt. Und die Lehrjahre sind dann auch irgendwann vorbei. Und dann hat man es hinter sich, sage ich mal.
Aber es gibt so Momente im Leben, wo man lernen muss, sich zu demütigen. Wohl dem Menschen, ich sage es mal, der gelernt hat, sich zu demütigen und daran nicht kaputt geht. Das möchte ich ganz deutlich dazu sagen. Es gibt Menschen, die daran kaputtgehen, weil sie kein Umfeld haben, das ihnen sonst zeigt, wie wertvoll sie sind oder was sie können oder wie auch immer. Der Geselle, den ich den dann später gefragt habe – wisst ihr, was der zu mir gesagt hat? (Das ist ein bisschen blöd, wenn ich das als Christ hier sage?) Aber der hat zu mir gesagt: „Weißt du, der Hirscher ist, wie er ist. Lass ihn halt spinnen.“ Hat mein Geselle zu mir gesagt. „Der Hirscher ist, wie er ist. Lass ihn halt spinnen.“ Da habe ich mir gedacht „Okay. Mein Meister ist, wie er ist. Lass ich ihn halt spinnen.“ Okay. So viel zu dem Thema.
Gott schickt Hagar zurück in die Demütigung und dann gibt er ihr aber eine Verheißung für ihren Sohn mit. Er sagt: „«Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.» Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: «Siehe, du bist schwanger geworden, du wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen, denn der Herr hat dein Elend erhört.»“ Es geht jetzt noch weiter. Ich will mir das Weitere jetzt sparen. Aber in diesem Zusammenhang sagt sie dann: „Sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: «Du bist ein Gott, der mich sieht.», denn sie sprach: «Gewiss habe ich hinter dem her gesehen, der mich angesehen hat.»“
Also in dieser Erfahrung, dass Gott sie ihr nachgeht, dass er ihr begegnet, hier im Engel am Brunnen, dass er ihr eine Wegweisung gibt, was sie tun soll, dass er ihr eine Verheißung für ihren Sohn gibt und sagt Das wird kein namenloses Kind, das wird... – auf diesem Kind liegt mein Segen... – erfährt sie, dass Gott sie sieht. Und das formuliert sie dann auch: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Nun, wenn man sich die Frage stellt: jetzt hat sie ja Gott real erlebt; eine Heidin. Vielleicht hat sie Gott zum Ersten Mal in ihrem Leben real erlebt. Das wissen wir nicht genau, aber vielleicht zum Ersten Mal. Da müsste man doch sagen „Jetzt hat jemand Gott kennengelernt! Jetzt geht es... – jetzt geht sein Leben so steil nach oben oder zumindest flach nach oben. Jetzt hat sie den Gott kennengelernt, der sie sieht. Und jetzt können die Krisenzeiten sozusagen aufhören.“
Wer die Bibel gut kennt, der weiß: So ist es nicht. Nur weil wir die Erfahrung machen, dass Gott uns sieht, bedeutet es nicht, dass wir eine ununterbrochene Gottesnähe erleben. So einfach ist es nicht im Leben. Eine einmalige Erfahrung, dass Gott mich sieht, bedeutet nicht, dass mein Leben jetzt eine ununterbrochene Folge von Gotteserlebnissen ist; mit absoluter Gottesnähe. Wer das glaubt und das erwartet, wenn er zum Glauben kommt, der kommt oft in ganz tiefe Krisen, weil er merken wird: so leicht ist das nicht mit dem Glauben. Und so leicht ist das nicht mit uns Menschen und mit Gott.
Und in Kapitel 21 im ersten Mose, wird dann schon die nächste Krise beschrieben, in die Hagar hineinrutscht. Das ist 14 Jahre später. Das ist auch sehr interessant. Man muss das auch mal in der Bibel registrieren, dass wenn die Menschen mit Gott eine Erfahrung gemacht haben, dass dann oft zwischen der eigenen Erfahrung und der anderen Erfahrung Jahre liegen. Bei uns ist es ja so: wenn ich schon eine Woche nicht direkt erfahre, dann verzweifle ich schier: Gibt es den jetzt gar nicht oder bin ich jetzt kein richtiger Christ? Oder was ist jetzt eigentlich los? Aber in der Bibel gibt es durchaus zwischen der einen tiefen Gotteserfahrung und der nächsten tiefen Gotteserfahrung auch Jahre dazwischen, wo mal nicht so viel tiefgreifende Erfahrung ist.
Und in Kapitel 21 wird uns dann beschrieben, dass Hagar wieder in einer ganz ähnlichen Situation ist. Sie ist im Prinzip wieder auf der Flucht, aber diesmal ist sie weggeschickt. Diesmal entscheidet sie nicht selbst, dass sie flieht, sondern dieses Mal weist Abram sie aus dem Lager hinaus.
Und der Hintergrund ist der, dass Isaak auf die Welt gekommen ist, dass er gerade entwöhnt. Die feiern ein sogenanntes Entwöhnungsfest. Man kann sagen entwöhnt. Wenn ich es richtig verstehe, bedeutet [das]: er wird nicht mehr gestillt. Kann man wahrscheinlich im Orient sagen: [da] war der vielleicht drei Jahre alt oder so ungefähr, sage ich mal.
Auf jeden Fall der Isaak, der wird von dem 14 Jahre älteren Ismael – wird, der ... ich sag mal mit meinen Worten – getriezt. Die eine Übersetzung sagt, der Ismael hätte mit dem Isaak gescherzt. Aber das hebräische Wort, das hier steht, kann man [auch] anders übersetzen. Der Luther hat es auch anders übersetzt. Der schreibt „Der Ismael hat Mutwillen getrieben mit dem Isaak.“ Und ich stelle mir das so vor (das war ja für den Isaak auch nicht so leicht – zu wissen: jetzt ist der geboren worden, dem die ganze Liebe des Vaters von Abram und von Sarai gehört und [jetzt ist] der geboren worden, der man alles erben soll und so weiter und so fort. Und ich stelle mir das so ein bisschen so vor, dass der so gesagt hat: „Na, du kleiner Pimpf, was machst‘n du hier?“ - und immer so immer so... Und die Sarai, die trifft die Entscheidung – oder spürt – „Ich will nicht, dass mein Sohn mit diesem Sohn erbt.“
Jetzt mal ein ganz kleiner Exkurs: Wir sind ja alle so humanistische Christen, gell? Wir haben ja manchmal mit der Bibel auch unsere Probleme – weil, wir würden sagen: „Okay, das ist doch normal, das jetzt der Ismael seinen Ärger am Isaak auslässt.“ Und wie kann jetzt da die Sarai entscheiden, dass die Frau aus dem Lager gewiesen werden muss? Und der Höhepunkt kommt noch: Gott bestätigt es! In Kapitel 21 lesen wir, dass Abram dieses Wort sehr missfiel, dass er Ismael ausstoßen sollte. Aber Gott sprach zu ihm: „Lass es dir nicht missfallen wegen des Knaben und der Magd. Alles, was Sarai dir gesagt hat, dem gehorche. Denn nur nach Isaak soll dein Geschlecht benannt werden.“ Also Gott bestätigt es noch, dass der Ismael hier keinen Raum mehr haben soll, und dass Abram sozusagen die Entscheidung fällen soll, die Hagar und ihren Sohn aus dem Lager zu weisen!
Das ist so eine Stelle, wo wir verstehen müssen: das Alte Testament verstehen wir manchmal nur aus dem Neuen Testament. Wir würden sagen „Das ist doch unmenschlich!“ Weil – wir werden [es] gleich sehen – diese Frau ist dadurch wieder in eine lebensbedrohliche Situation gekommen. Wir würden sagen, das ist doch unmenschlich. Gott, bist du ein unmenschlicher Gott, dass du solche Entscheidungen sozusagen noch bestätigst?
Aus dem Neuen Testament wissen wir aus dem Galaterbrief, dass Hagar und Sarai zwei Bünde sozusagen repräsentieren. Hagar repräsentiert den alten Bund, den Bund, wo im Prinzip aus menschlicher Möglichkeit ein Sohn entstanden ist. Sarai repräsentiert den Bund, wo keine menschliche Möglichkeit mehr da war und wo alles nur durch Gottes Möglichkeit entstanden ist. Und das repräsentiert im Grunde genommen... – das ist für uns als neutestamentliche Christen ganz wichtig! – das repräsentiert im Grunde genommen die Gesetzesreligion, wo ein Mensch aus eigenen Möglichkeiten versucht, vor Gott gerecht zu werden. Und dann der Isaak repräsentiert eigentlich dass, wo etwas entsteht, was nur aus Gottes Möglichkeiten entsteht. Also die Religion, sage ich mal, die nur durch Gott entsteht.
Und der Galaterbrief sagt dann, dass der, der ausgewiesen worden ist – sozusagen der Isaak – zeigt, dass die Gesetzesreligion, die Anhänger der Gesetzesreligion, nicht erben werden mit den Menschen, die Kinder Gottes sind allein durch das Wirken Gottes. Das bedeutet ganz konkret, dass wenn du Deinen Glauben nur so verstehst, [dass Du glaubst] Du musst Gott beweisen, dass du sozusagen gerecht bist, dann wirst du eines Tages in der Ewigkeit nicht angenommen sein. Wenn du [aber] begreifst, dass wir als Menschen aus unseren eigenen Möglichkeiten nicht gerecht werden können vor Gott. Und du nimmst dieses Geschenk an, das Jesus uns gibt – und du sagst: „Ich bin ein Kind Gottes. Nicht aus meiner Kraft. Nicht, weil ich so eine weiße Weste habe. Sondern weil Gott mich liebt“ – dann wirst du angenommen werden; dann wirst du in der Ewigkeit sein.
Gestern Abend war ich in einer Pfingstgemeinde. Hochinteressante Erfahrung. Ich predige auch in Pfingstgemeinden. Ich habe da wenig Berührungsscheu. Da hat ein Mann ein Lied selbst gedichtet; da hat er so seine Liebe zu Jesus beschrieben. Und in diesem Gedicht kam immer wieder [vor], dass seine Liebe nur dadurch entstanden ist, dass Jesus ihn lieb gehabt hat. Und das ist es. Genau von dem reden wir sozusagen.
Zurück zu unserem Text. Im Alten Testament geschieht hier etwas für uns völlig Verwirrendes. Aus dem Neuen Testament heraus bekommt es seinen Sinn. Und es ist sehr häufig so, dass wir manches Mal die Verzahnung finden müssen und dann Dinge tiefer verstehen. Hagar kommt auch hier wieder in eine lebensbedrohliche Situation. Kapitel 21 berichtet das folgendermaßen: „Da stand Abram früh am Morgen auf, nahm Brot an und einen Schlauch mit Wasser, legte es Hagar auf ihre Schulter, dazu den Knaben, und schickte sie fort. Da zog sie hin und irrte in der Wüste umher bei Berscheba. Als nun das Wasser in dem Schlauch ausgegangen war, warf sie den Knaben unter einen Strauch, ging hin, setzte sich gegenüber von ferne einen Bogenschuss weit. Denn sie sprach: «Ich kann nicht Ansehen des Knaben Sterben.» Und sie setzte sich gegenüber und erhob ihre Stimme und weinte.“
Haben wir Mütter unter uns? Könnt ihr nachempfinden, wie verzweifelt die Hagar war? Ich glaube, selbst wir Väter können das nachempfinden, obwohl wir nicht so tiefe Bindungen mit unseren Kindern haben wie die Mütter. Aber wenn ich erleben würde, wie mein Kind am Verdursten ist? Wenn mein Kind schreit und ich habe kein Wasser? Das ist ja unglaublich!
Und an dieser Stelle lesen wir dann „Da erhörte Gott die Stimme des Knaben. Und der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr «Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht, denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben, der dort liegt. Steh auf, nimm den Knaben, führe ihn an deiner Hand. Denn ich will ihn zu einem großen Volk machen.» Und Gott tat ihr die Augen auf, dass sie einen Wasserbrunnen sah. Da ging sie hin und füllte den Schlauch mit Wasser und tränkte den Knaben.“
Sie hat formuliert: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Hier fällt die Formulierung nicht. Aber sie hat wieder eine tiefgreifende Erfahrung gemacht: dass da ein Gott ist. Diesmal der, der sie hört; oder der den Knaben hört. Versteht ihr? Und ich glaube, das sind zwei ganz tiefliegende Erfahrungen im Leben von gläubigen Menschen dass wir die Erfahrung machen: „Es gibt einen Gott, der mich sieht.“ Und: „Es gibt einen Gott, der mich in meiner Not erhört.“ Das sind mit die tief liegenden Erfahrungen, die wir mit Gott machen können.
Und worauf es mir ankommt, ist, dass wir verstehen: es gibt so ein Wechselspiel im Leben. Wenn ihr mal die Psalmen lest, dann lest ihr in Psalm 13 einen Satz, da formuliert ein Psalmbeter: „Herr, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Warum schrei ich zu dir und du bist nicht da? Und fünf Psalmen weiter, in Psalm 18, formuliert ein Psalmbeter: „Herr, du bist meine Burg, du bist meine Feste. Ich habe dich in der Not angerufen und du hast mich gehört.“ Und wisst ihr, was das Interessante ist? Es ist ein und derselbe Mensch. Es ist David. Es ist ein und derselbe Mensch, der [jenen] Psalm formuliert hat und diesen Psalm formuliert hat.
Das heißt doch im Grunde genommen, in unserem Leben als Gläubige gibt es ein Wechselspiel. Es gibt durchaus Krisen und Zeiten, wo wir uns von Gott verlassen fühlen und wo wir, ja wo uns fast manchmal die Panik ergreift. Und dann gibt es Zeiten in unserem Leben, wo wir Gott erleben dürfen. Und das gehört zusammen. Und trotzdem halten wir fest: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Ich möchte euch jetzt... – wir haben zu diesem [Thema] am Jahresabschluss in Freyung einen Erzählgottesdienst gehabt oder einen Zeugnisgottesdienst. Ich möchte euch jetzt noch ganz kurz was daraus erzählen. Als wir über diesen Text gepredigt haben und die ersten aufgestanden sind und was erzählt haben, kommt eine alte Frau nach vorne, die Lydia. Die ist 71 jetzt geworden gestern. Und sie sagt: „Ich muss euch was erzählen!“
Sie kommt nach vorne und ich weiß nicht, ob ihr das gehört habt; das war vor kurzem in Passau: Die Situation, dass ein LkW Fahrer in der Fußgängerzone Menschen umgefahren hat. Und sie war genau an diesem Tag genau zu dieser Zeit in Passau. Sie kauft ein in einem Geschäft und sie hat es eilig, weil sie noch in ein anderes Geschäft will. Und sie kauft ein und – und es geht nicht weiter an der Kasse. Sie hat sich furchtbar geärgert, dass es nicht weitergeht an der Kasse, dass die da geratscht haben und gemacht haben und die Frau nicht in die Gänge gekommen ist, sage ich mal, dann ist sie endlich fertig und denkt „Okay. Jetzt kann ich endlich rübergehen zu dem Geschäft.“ Da trifft sie eine Bekannte und die erzählt und die erzählt und die erzählt. Und sie ärgert sich, weil sie denkt: „Mensch, ich muss doch da rüber in das Geschäft!“ Auf einmal Sirenen. Blaulicht. Sie geht raus. Sie guckt rüber. Genau das Geschäft, wo sie hinwollte. Und sie merkt: „Das war Gott, der verzögert hat, dass ich da hingekommen bin; rechtzeitig. Denn wenn ich auf dem Weg dahin gewesen wäre, hätte es vielleicht mich erwischt.“ Hätte. Er war zumindest ihr innerer Schluss aus dieser ganzen Sache. Sehr, sehr interessant.
Wir haben einen Bruder, der traumatisiert ist aus seiner Familiengeschichte und der oft ganz tiefe Verzweiflungssituationen erlebt. Das können wir uns, glaube ich, wenn man nicht traumatisiert ist, nicht vorstellen, wie verzweifelt er sich da in diesen Situationen fühlt. Und er hat dann immer folgendermaßen gedacht... – der hat, das hat er uns da sehr eindrücklich erzählt an diesem Abend – ... der hat immer gedacht: „Ich muss noch mehr Predigten hören! Ich muss noch mehr Geistliches tun! Damit ich so stark werde, dass ich diese traumatische Situation bewältigen kann!“; sozusagen. Das war immer diese Sache sozusagen.
Und immer wieder kamen diese Verzweiflungsmomente, so dass er das Gefühl hat, „Jetzt ist es nicht nur so, dass mein Leben nicht gelingt. Jetzt ist es sogar noch so, dass mein Glaube zerbricht! Jetzt zerbricht mein Glaube!“ Und her hat zu Gott gesagt: „Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr!“ Und dann ist ihm ein Gedanke gekommen. Er hat in den früheren Jahren – weil das schon Jahre so geht – hat er eingeübt, [dass] wenn er [...] ein bestimmtes wichtiges Wort bekommt, schreibt er das auf und tut es in ein Kästchen. Und dann hat er gedacht – in seiner ganzen Verzweiflung hat er gedacht: ich gehe jetzt zum Kästchen und ziehe da mal was raus, was ich früher geschrieben habe. Er hat nicht hingeguckt und hat das rausgezogen. Und wisst ihr, was er gezogen hat? Das Wort, wo Jesus [zu] Petrus sagt: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört“. Das zieht der da raus! Und er hat uns beschrieben, was das mit ihm gemacht hat. Versteht ihr, wie [ihn] das aufgebaut hat? Wie ihm das Halt gegeben hat in dieser schwierigen Situation? Er hat noch ganz viele andere Stellen erzählt, wo man gemerkt hat, Gott hat ihn mitten in seiner Verzweiflung... – immer hat er ihm noch mal was unter die Füße geschoben, dass er nicht gefallen ist. Eine interessante Erfahrung. Ja.
Ich möchte eine der jüngsten Erfahrungen von uns sagen. Ich weiß noch nicht genau, wie das [...] ausgeht, aber es ist eine sehr interessante Erfahrung. Wer den letzten Rundbrief gelesen hat, der weiß ja: wir haben einen [...] jungen Bruder aus Bolivien unterstützt, dass er für drei Monate nach Deutschland kommen kann. Und es ist ganz verrückt, wie das zustande kam, weil: wir haben im Mitarbeiterkreis besprochen „Wir brauchen ganz, ganz, ganz, ganz dringend junge Leute.“
Ein paar Tage später steht eine völlig fremde Frau bei uns im Café und fragt nach dem Thomas Mayer. Ja, der bin ich. Wer bist denn du? Die Janina Friesen. Ich kenne keine Janina Friesen. Janina, sag ein paar Worte zu dir. Wer bist du überhaupt? Und so ist klar geworden, es ist eine Christin, die wohnt in Passau. Sie kommt eigentlich aus Paraguay. Sie hat [...] beide Staatsangehörigkeiten, und sie hat einen bolivianischen Freund. Und sie wollen gerne heiraten. Und sie will gerne, dass der nach Deutschland kommen kann. Aber dazu braucht sie einen Arbeitgeber. Dann fragt sie mich „Kannst du nicht meinen Freund einstellen?“
Du bist ja lustig! Also ich kenne ja deinen Freund gar nicht. Also erstmal weiß ich nicht, was kann der? Wer ist der? Kann ich dem vertrauen? Und so weiter und so fort. Du bist ja lustig, sage ich, aber es hat mich... – es hat mich berührt. Ich habe gedacht, vielleicht ist das der Weg Gottes, wie er uns zu Mitarbeitern kommen lässt.
Dann habe ich gedacht „Okay, Janina, pass auf, jetzt machen wir Folgendes: Ich erkundige mich, wann er nach Deutschland kommen könnte.“ Und dann habe ich mich erkundigt und dann ist es klar geworden: Ich kann ihm dazu verhelfen, dass er drei Monate über ein Touristenvisum nach Deutschland kommen kann. Das ist auch schon aufwendig. Da muss man Bürgschaft leisten, da muss man Krankenkasse bezahlen, da muss man Flug bezahlen. Also das haben wir alles bezahlt und haben dem ermöglicht, dass der drei Monate nach Deutschland kommt.
Und im Hinterkopf habe ich natürlich schon die Hoffnung gehabt ratet mal welche. Ich habe natürlich die Hoffnung gehabt: vielleicht gefällt es dem so [sehr] in der Lebensgemeinschaft – ist ein junges Paar; wenn die dann heiraten – vielleicht bleiben die bei uns und vielleicht werden die Mitarbeiter so. Und dann habe ich einen Absturz... – manchmal... kennt ihr das? dass man [einen] jähen Absturz erlebt im Leben? – weil der kam dann... Und dann habe ich am nächsten Tag mit ihm geredet. Der kann schon ein bisschen Deutsch oder eigentlich relativ gut Deutsch. Und ich habe ihm gefragt Jonathan, wie stellst du dir denn dein Leben vor? Ich habe dem gesagt „Also wenn du Interesse hast, jetzt leb erst mal bei uns mit. Und wenn du dann Interesse hast, so und es gefällt dir bei uns, können wir ja auch überlegen, ob du hier bei uns einsteigst und so.“ Dann sagt er mir. Ich möchte Mechatroniker werden. Scheibenkleister. Ich habe eine Bäckerei. Er will Mechatroniker werden. Und er will – er will wirklich Mechatroniker werden. Er will nicht nur... – nicht: Er würde gerne Mechatroniker werden, aber im Notfall wird er auch Bäcker. Nein, er will Mechatroniker werden.
Okay, das heißt, schon am zweiten Tag, nachdem er da war, war meine Hoffnung zerstört. So, jetzt sage ich euch, was in mir vorgegangen ist. Ich habe im nächsten Moment mit mir gerungen und mir gedacht „Okay. Setzt du jetzt noch ein für das junge Paar? Ja oder nein?“ Dann habe ich mir gedacht „Das sind zwei Christen. Die sind jung, die brauchen Hilfe. Die sind in einer sehr schwierigen Situation. Die lieben sich schon seit drei Jahren. Es gibt keinen Weg, dass sie zusammenkommen. Ich setze mich für sie ein!“
Dann habe ich mich für sie eingesetzt. Das hat einiges gedauert. Wir haben sogar eine Lehrstelle von Jonathan gefunden, bei Mercedes Hirschvogel in Passau, eine der renommiertesten Firmen, die es überhaupt in Passau gibt. Und ich habe immer so still für mich gedacht Gott, ich mache das jetzt einfach, weil... – ...weil du sagst, wir sollen Menschen lieben. Und meine Not gebe ich dir.
Da bin ich jetzt zuletzt in der Gemeinde in Hutthurm. Und die fragen mich ja immer. Die Leute fragen mich ja immer „Wie geht es dir?“ „Okay!“, habe ich mir gedacht, „Das sage ich jetzt mal vorne, dann muss ich es nicht jedem einzeln sagen.“ Dann sage ich, was wir da erlebt haben mit dem Jonathan: dass wir auch die Freude erlebt haben, dass er, ganz kurz bevor er zurück musste nach Bolivien, als die drei Monate abgelaufen sind, noch diese Zusage der Lehrstelle für ihn bekommen haben.
Und dann sage ich so ganz authentisch. „Wisst ihr was? Wir haben für dieses junge Paar gesorgt und wir haben es gern getan.“ Aber manchmal steigt in mir die Frage auf Wer sorgt eigentlich für mich und für die Irmi? Wir werden nämlich immer älter und unsere Kräfte nehmen ab. Wer sagt eigentlich für mich und für die Irmi? Und dann habe ich gesagt „Wisst ihr was? Ihr könnt nicht für mich sorgen. Ich kann das nicht machen. Geben wir es Gott.“
Dann haben wir gebetet und dann steht nach dem Gottesdienst ein Ehepaar [auf und] kommt zu mir. Ich kenne die nicht, ich habe die noch nie in meinem Leben gesehen. „Wir hätten Interesse. Wenn es eine Möglichkeit gibt. Wir würden gern bei euch mitarbeiten.“ Sie ist Sozialpädagogin, Er ist ein Allrounder. Und genau das brauchen wir, weil wir kein Geld haben, ihn völlig einzustellen. Er muss sich einen Teil seines Gehaltes selbst reinarbeiten. Und die haben beide Brüche im Leben. Die haben vor ihrer Bekehrung... – hat sie schon Scheidung erlebt. Er hat vor seiner Bekehrung eine Suchtgeschichte erlebt. Sie sind aber frei. Sie sind schon seit sechs Jahren verheiratet. Sie haben [...] drei eigene Kinder. Also Sie kennen Brüche. Das ist für uns wichtig. Wenn jemand mit unseren Leuten arbeitet, braucht er Barmherzigkeit mit Menschen, die Brüche haben. Er muss auch vielleicht mitfühlen können mit Menschen, die Brüche haben.
Auf jeden Fall: In der vergangenen Woche haben wir besprochen, dass der am 1. Februar anfängt. Zu 60 % (100 % hätten wir gar nicht tragen können). Zu 60 % auf eigenen Wunsch. Ich musste ihm nicht sagen „Ich kann dich nicht zu 100 % einstellen.“, sondern erst kam er und hat gesagt „Thomas, ich würde eigentlich am liebsten nur mit 80 % anfangen. Meine Frau hat gerade ganz neu ein Kind bekommen. Wir haben noch keine Wohnung usw. Jetzt hat sogar auf 60[%] reduziert. Von sich aus. Das ist für uns ein Traum, weil: wir können sofort starten. Dieses Geld haben wir. Wir können den sofort bezahlen. Ich weiß noch nicht, was daraus wird, aber wir reden ja über das: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“
Und ich rede jetzt nur mal von meinem subjektiven Erleben: wir sorgen permanent für andere Menschen. Und wo werden wir versorgt? Und auf einmal tut sich eine Tür auf. Wir haben ewig lang... – ich muss... – ich muss ehrlich gestehen, ich habe mir innerlich schon [lange] gedacht „Wahrscheinlich wird Gott es mir zumuten, dass ich mit 70 immer noch die Lebensgemeinschaft leite, weil da kein Mensch ist, der da bereit ist, damit einzuspringen; weil es teilweise so kompliziert und so schwierig ist.“
Aber Gott, „Gott ist ein Gott, der sieht.“ Und es wäre für mich hochinteressant, wenn jetzt noch jemand hier in der Mitte wäre. Ich kenne mindestens eine... – ich kenne mindestens eine Person, die die auch erlebt hat, dass Gott sie sieht. Hier. Aber die wird wahrscheinlich jetzt nicht die Freiheit haben, so was davon zu erzählen. Aber mindestens eine kenne ich noch.
Aber es wäre mal interessant, wenn ihr aus eurer Mitte mal so einfach die Freiheit hättet zu sagen „Ja, wo habe ich mich von Gott verlassen gefühlt? Wo hat er mich gesehen? Wo habe ich mich verlassen gefühlt? Wo hat er mich erhört?“ Ich glaube, dass das ganz wichtig ist.
Und jetzt schließe ich mit einem letzten Wort und damit muss ich wirklich mal schließen.
Der tiefste Punkt – und das dürfen wir in den Verlassenheitszeiten nie vergessen – der tiefste Punkt, wo wir sehen können, dass Gott uns sieht, ist die Sendung Jesu. Denn da wird offensichtlich: Gott hat uns gesehen in unserer Sündennot.
Wisst ihr, selbst wenn ich nicht mal menschlich... – weil ich krank bin und Gott nimmt meine Krankheit nicht weg ... oder ich habe ein Problem auf dem Arbeitsplatz und Gott nimmt das Problem auf dem Arbeitsplatz nicht weg ... selbst in diesen Zeiten, wo ich mich subjektiv vielleicht verlassen fühle – bleibt immer bestehen, dass ich einen Gott habe, der mich sieht. Und das sehe ich zutiefst in der Sendung Jesu. Weil da hat Gott deine und meine Not gesehen.
Dass wir uns nämlich durch eine Gesetzesreligion nicht selber so hocharbeiten können, dass wir eines Tages vor Gott stehen können und sagen können „Schau Gott! [Da] kannst du eigentlich froh sein, dass ich hier bin! Jetzt wird der Himmel endlich mal mit einem bevölkert, der es verdient hat!“ Nee. So ist es nicht. Im Himmel ist niemand, der es verdient hat. Kein einziger. Es sind lauter Menschen, die von Gott beschenkt wurden mit seiner Liebe. Amen.
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