Samstag, 9. Juli 2016

Joyce Meyer – Lehrerin oder Irrlehrerin? (Teil II)

Eine interessante Leserfrage zu meinem ersten Artikel über Joyce Meyer hat mich dazu bewegt, eine Antwort zu verfassen, die so lang geworden ist, dass ich mich entschlossen habe, einen eigenen Artikel daraus zu machen. Ich möchte ihn mit der Frage überschreiben: 

"Ist es eine Verurteilung zu behaupten, Joyce Meyer sei eine Irrlehrerin?"

Ich bin, wie meine Leser, der Überzeugung, dass niemand uns das Recht gibt, einen anderen Menschen zu verurteilen. Doch Gott gibt uns sehr wohl den Auftrag, dass was wir das, was wir hören, sehen, lesen und wahrnehmen, vorher zu überprüfen, um nicht "einfach so" alles für Gold zu halten, was glänzt. Gott möchte, dass wir die Inhalte, die wir für uns übernehmen, um sie zu glauben, vorher prüfen (1Thess 5:21) - weil Er uns liebt und nicht möchte, dass wir unseren Glauben mit halbwahren oder gar falschen Inhalten  vergiften.

Diese Unterscheidung zwischen "prüfen", "unterscheiden" oder "beurteilen" auf der einen Seite und "richten" oder "verurteilen" auf der anderen Seite wird jedoch in unserer Zeit leider nur noch selten getroffen. Oft werden beide - die sachliche wichtige Prüfung von Fakten einerseits und die moralisch verwerfliche Aburteilung einer Person andererseits - in einen Topf geworfen. Mit dem Ergebnis, dass wir am Ende gar nichts mehr beurteilen können, aus lauter Angst, dabei aus Versehen jemanden zu richten.

Dabei ist das Beurteilen und Prüfen so wichtig. Vor allem in unserer heutigen Zeit, von der uns schon Petrus warnte: "Das sollst du aber wissen, dass in den letzten Tagen schlimme Zeiten kommen werden. Denn die Menschen [...] haben den Schein der Frömmigkeit, 
[...] solche Menschen meide!" (2Tim 3,1). Und wir prüfen ja auch alle möglichen Dinge den lieben langen Tag in unserem natürlichen Leben (ohne groß darüber nachzudenken): wir prüfen das Essen, das wir essen ("Ist es verschimmelt?"), oder die Ampel ("Ist sie grün? Kann ich gefahrlos über die Straße gehen?") und so weiter und so fort. Um uns zu schützen. Und das ist gut so. Mit der Lehre von anderen Menschen sollen wir es genau so machen. Darum habe ich auch ganz am Anfang meines ersten Artikels eine Einleitung über "richten" und "unterscheiden" geschrieben. Und ich empfehle allen meinen Lesern, sich die dort angegebenen Bibelstellen noch einmal gründlich durchzulesen.

Doch wie komme ich nun zu meiner Beurteilung von Joyce Meyer?

Ich habe sie im Fernsehen gesehen und mir auch angehört, was sie lehrt. Darüber hinaus habe ich eigenen Recherchen betrieben und unter anderem das Buch "Christianity In Crisis: The 21st Century" von Hank Hanegraaff" studiert, der alle seine Aussagen mit unwiderlegbaren und vor allem überprüfbaren Fakten unterlegt. Hank Hanegraaff ist niemand, der einfach mal so aus Spass behauptet "Joyce Meyer ist eine Irrlehrerin", sondern der einen Großteil ihrer Publikationen und Ausstrahlungen durchforstet hat und sich die Mühe gemacht hat, die Aussagen von ihr (und vielen anderen Irrlehrern) den Aussagen der Bibel gegenüber zu stellen. Und die Faktenlage ist erschreckend. Ich kann nur jedem empfehlen, das Standardwerk von Hank Hanegraaff zu lesen - es ist aus meiner Sicht eines der wichtigsten Bücher unseres Jahrhunderts.

Das Problem mit Joyce Meyer ist dabei nicht, dass "jede einzelne Predigt [...] ein klarer und sichtbarer Widerspruch zu Gottes Geboten oder Wort Gottes" wäre. Vieles von dem, was sie aussagt, ist richtig und manches scheint darüber hinaus auf den ersten Blick recht hilfreich. Es ist vielmehr "die große Richtung", die bei ihr nicht stimmt. Das bedeutet: man kann eine ganze Predigt von Joyce Meyer hören und dabei nicht ein einziges Mal "zusammenzucken", weil sie etwas offensichtlich falsches predigen würde. Verfolgt man jedoch eine Reihe von ihren Predigten, so wird eine größere "Strömung" sichtbar, die ich hier einmal mit dem Gegensatz zwischen "Selbstverwirklichung" und "Nachfolge" beschreiben möchte.

Joyce Meyer predigt an vielen Stellen ein Evangelium, was den Menschen und sein Wohlergehen ins Zentrum stellt. Das Evangelium in der Bibel jedoch hat Gott und seine Ehre zum Zentrum. Natürlich möchte Gott, dass wir uns in Ihm und an Ihm freuen. Er erwartet jedoch auch, dass wir in Seine Fußstapfen treten - sogar dann, wenn das bedeuten sollte, für ihn zu leiden (siehe Phil 1,29). In Markus 8,34 lehrt uns Jesus selbst, dass wir unser Kreuz auf uns nehmen sollen. Die Seite www.bibelkommentare.de beantwortet die Frage, was es bedeutet, "sein Kreuz auf sich nehmen", so: das "Mitgekreuzigtseins unseres alten Menschen samt seinen Leidenschaften und Lüsten. [...] Es ist das völlige in des Herrn Fußstapfen treten auf Seinem Wege der Verwerfung, des Widerspruchs und der Schmach von Seiten dieser Welt."

Diesen Aspekt der Nachfolge jedoch sucht man bei Joyce Meyer an vielen Stellen vergeblich. Und das ist es, was mich besorgt. Hier weicht sie vom Wort Gottes ab, der von Anbeginn der Schöpfung nur ein Ziel hat: "Lasset uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei [...]" (1Mo 1,26). Und der Zweck hinter dieser Absicht, Menschen nach dem Abbild Gottes zu schaffen, ist kein Geheimnis: Es ist nichts anderes - nicht mehr und nicht weniger als - die Ehre Gottes (siehe Jes 43,7).

Mit anderen Worten: Joyce Meyer predigt ein Wohlfühlevangelium, in dem der Mensch und sein Wohlergehen im Mittelpunkt stehen und in dem Gott das Mittel zum Zweck unseres Wohlergehens ist. Das jedoch steht im krassen Widerspruch zum Evangelium Christi, in welchem Gott im Zentrum steht und dem wir aufgerufen sind, in einem lebenslangen Prozess der Umkehr - durch das "töten der Werke des Fleisches" und durch "in das Anschauen der Herrlichkeit Christi" in das Bild Christi umgestaltet zu werden (vgl. Rö 8,13, Gal 5,19ff, Jak 1,21, 2Kor 3,18) - damit durch unsere Lebensführung die Ehre Gottes gemehrt wird.

Es ist richtig: Am Ende ist in der Tat nur der Glaube an Christus und die Einhaltung Seiner Gebote von größter Bedeutung und wichtig für jeden wahren Nachfolger Jesu. Doch so, wie Christus sie gelehrt hat - und nicht in einer verdrehten Form, die den Menschen statt Gott in den Mittelpunkt stellt und schöne Gefühle, statt Gottes Ehre.