Sonntag, 17. Juni 2012

Wie man ein Wunder übersieht

Als wir vor kurzem bei einem befreundeten Ehepaar eingeladen waren, fiel mir etwas auf. An mir. Oder besser: an meiner Wahrnehmung. Etwas, das mir noch nie so bewusst aufgefallen war: Ich war überrascht von meiner "Fähigkeit zur geistlichen Blindheit". Meiner Blindheit gegenüber dem Handeln Gottes in dem sich sein Wesen so klar und eindeutig widerspiegelte: Seine Gutheit, Seine Barmherzigkeit, Seine Treue. 

Doch von Anfang an.

Ich habe einen Freund; nennen wir ihn G. Vor vielen Jahren war G. ein einsamer Mensch, der sein Dasein, zumindest aus dem Blickwinkel anderer, eher am Rande der Gesellschaft fristete. Ihm ging es nicht gut, weder äußerlich, noch innerlich. Weder finanziell noch emotional. Er war arbeitslos, ehelos, hoffnungslos. Er war mir und einem weiteren Freund von uns ein ständiges Gebetsanliegen.

Und was er für Wünsche hatte! Er sehnte sich nicht nur nach einer festen Anstellung, was aus diversen Gründen schon eine Herausforderung darstellte, nicht nur nach einem festen Einkommen, sondern - in seiner Lage! - auch noch nach einer Frau. Und nicht nach irgend einer Frau. Nein, eine Frau von einem ganz bestimmten Fleck auf diesem Planenten sollte es sein. Das war für G. ausgemachte Sache.

Wenn ich mich heute zurück erinnere, spüre ich noch gut meine innere Zerrissenheit: Auf der einen Seite wollte ich G. nicht enttäuschen, indem ich ihm seine, aus meiner Sicht etwas hoch gestochenen, Wünsche ausredete. Auf der anderen Seite wollte ich nüchtern bleiben und realistisch. Ich konnte mir einfach nicht vorstellen, dass er eine Arbeit finden würde, geschweige denn eine Frau. Und dann noch eine aus dieser ganz besonderen Region auf unserem Planeten. Das war für mich einfach zu viel.

Doch meine Zuneigung und vielleicht auch mein Mitgefühl überwogen und so sagte ich ein ums andere Mal zu, für G. zu beten. Und mit ihm zu beten; wie auch mein anderer Freund und viele andere mit uns.

Die Jahre vergingen. G. fand eine Arbeit. G. fand eine Frau. Alles geschah so natürlich, so unauffällig, so leise, so ohne Pomp und Klimbim. So leise und unauffällig sogar, dass ich gar nicht realisierte, was sich da eigentlich direkt vor meinen Augen zugetragen hatte.

Und so saßen wir dann neulich zusammen und sprachen über alte Zeiten. Und G. fragte mich: "Weißt Du noch, wie anders damals alles war?" Dieser Satz traf mich, wie ein Blitz aus heiterem Himmel und es fiel mir plötzlich wie Schuppen von den Augen: Ja! Es war in der Tat alles anders. Denn Gott hatte unsere Gebete erhört und alle unsere Erwartungen -zumindest meine- bei weitem übertroffen:

Inzwischen steht G. vor seinem 10-jährigen Firmenjubiläum in einem Unternehmen, an welches wir damals nicht im Traum zu denken gewagt hätten. Nicht nur ist er inzwischen verheiratet und Vater eines gesunden und ganz wunderbaren Kindes. Er ist vor allem auch der Ehemann einer wunderbaren Frau - einer Frau, die von genau dem Ort auf unserer Erde kommt, den er sich so sehr gewünscht hatte.

Diese Erkenntnis traf mich mitten ins Herz: So liebevoll ist Jesus (Mt. 11,28), so sehr interessiert daran, uns Freude zu bereiten, so beharrlich darin, unseren Wünschen und Gebeten zuzuhören und uns am Ende zu geben, was unser Herz sich so sehr ersehnt (Ps 37,4). Auch darin liegt seine Herrlichkeit: Dass ER - ungleich uns - nicht allein an Sich selber denkt, sondern sein Höchstes für uns gibt, damit wir glücklich sind.

Mich hat dieses Erlebnis eine -theologisch längst bekannte- Wahrheit in ganz neuem, viel realistischerem Licht erkennen lassen: dass Jesus unseren Gebeten tatsächlich zuhört. Dass sie Ihm wichtig sind. Dass Er sie erhört. Nicht, weil wir es verdient hätten. Sondern weil Er uns gnädig ist. Weil Er uns wirklich liebt.

Und sie hat mich noch etwas gelehrt. Über einen Widerspruch in meinem Denken und Empfinden. Dass es scheinbar recht einfach für mich ist, Dinge zu übersehen, die ich, als sie noch in der Zukunft lagen, für richtige Wunder gehalten habe, für absolut menschenunmöglich. Und die ich, als sie so selbstverständlich und natürlich geschahen und in dann in der Vergangenheit verblassten, als gegeben hinnahm, als seien sie das Normalste von der ganzen Welt.


Doch vielleicht geht es nicht nur mir so? Vielleicht gibt es auch im Leben meiner Mitmenschen Dinge, für die sie in ihrer Not zu Gott gerufen haben, gefleht und gebetet. Dinge, von denen sie glaubten, sie seien undenkbar. Und die Gott in seiner Gnade dann doch hat wahr werden lassen, weil uns Menschen liebt. Dinge, die vielleicht bis heute übersehen wurden, weil sie so völlig natürlich in's Leben kamen, so bescheiden, so leise, so unscheinbar... - ganz so, wie es Gottes Wesen entspricht. Denn Er ist demütig, sanftmütig und bescheiden... (Mt 11,29)

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