Sonntag, 7. April 2024

Sünde - Eine Predigt über Menschengebote, Heuchelei, falsch verstandene Freiheit, Werkgerechtigkeit und das Evangelium

[Predigt als MP3]

Einleitung

Ein super komplexes Thema, das sich leider durch alle Lebensbereiche zieht: Sünde. Und auch ein super grundlegendes Thema, weil es den Kern unseres Glaubenslebens berührt. Und wenn ich ehrlich bin, ich habe mir in der Vorbereitung schon so ein bisschen in die Hosen gemacht, weil ich möchte schließlich Gottes Wort predigen und nicht meine eigenen Ansichten. Gerade wenn es um etwas geht, was so zentral ist. 

Ich habe mit dem Joey ein bisschen Zeit haben dürfen zur Vorbereitung. Das war schon mal die halbe Miete, als ich da rauskam, da war ich, Joey weiß das bestimmt noch, froh und begeistert. Und dann habe ich mich zu Hause hingesetzt. Also ich mache das dann meistens vor der Predigt, dass ich mich in der Woche vor der Predigt morgens sozusagen in der stillen Zeit mit eben diesem Thema beschäftige.

Und da habe ich dann unter anderem auch mal das Bibellexikon aufgeklappt. Da stehen ja meistens so knackige Definitionen drin. Ja, dann schlägst du auf: "Sünde" und dann kommt halt nicht eine kurze, knackige Definition. Dann kommen zwei komplette Seiten Bibellexikon nur zu diesem Thema. Und summa summarum: auch das Bibellexikon sagt unter vielen anderen Dingen, die es auf diesen zwei Seiten sagt: dass das ein hochkomplexes Thema ist und dass selbst die Heilige Schrift die Sünde nicht definiert, sondern nur in vielen, vielen Begebenheiten beschreibt.

Und trotzdem möchte ich heute mit uns gemeinsam darüber nachdenken, was Sünde von ihrem Wesen her ist. Und ich möchte gemeinsam mit euch anschauen, in welcherlei Gestalt sie daherkommen kann. Und zwar jetzt nicht an konkreten Fallbeispielen, wie zum Beispiel, Heroinsucht oder sowas, sondern eher in "Behältern".

Und da könnte man jetzt natürlich fragen "Ja, Michi, wieso machst du das?" Manche von uns, die sind noch länger im Glauben als du. Glaubst du wirklich, dass wir das noch nicht begriffen hätten, was Sünde ist? Nee, das glaube ich nicht. Also, ich glaube nicht, dass sie es nicht begriffen habt, wenn ihr mir folgen könnt. Aber ich merke es bei mir selber auch: Man ist halt als Mensch nicht davor gefeit, dass man trotz vielen Jahren dem Glauben bei manchen Sachen so ein bisschen Schieflage bekommt. Und gerade weil es so ein zentrales Thema ist, kann jede Schieflage, die in diesem Bereich auftritt, verheerende Folgen haben.

Und von daher wünsche ich mir wirklich von Herzen, dass ihr heute Gottes Stimme in euren Herzen hört, dass ihr von Gott her erkennt, an welcher Stelle ihr gemeint seid. Und zwar nicht, weil ich euch ein schlechtes Gewissen wünsche, sondern weil ich euch Versöhnung wünsche: Frieden, Freude, Gemeinschaft mit Gott und mit euren Nächsten. 

Übersicht

  • So, also einsteigen, wie gesagt, würde ich gerne mit dem Versuch einer Definition von Sünde. Das ist diese Überschrift. Was ist Sünde
  • Und danach möchte ich anhand von Beispielen drei Erscheinungsformen, also nicht drei partikulare Sünden, sondern drei generelle Erscheinungsformen von Sünde vorstellen. Weil ich kann ja nicht alle vorstellen. Dann könnten wir 52 Predigten machen und es würde immer noch nicht reichen.
  • Und ich würde diese drei Erscheinungsformen von Sünde dann gerne unter drei verschiedenen Blickwinkeln betrachten, nämlich unter dem Blickwinkel der Autorität, dem Blickwinkel von Wille und Freiheit und dem Blickwinkel von Beziehungen. Das sind auch bestimmt nicht alle Ebenen, zu denen man da was sagen könnte. Aber es sind mal drei, von denen ich glaube, dass sie ganz wesentlich sind. Also die Blickwinkel, unter denen ich diese drei Erscheinungsformen anschauen möchte, sind Autorität, Wille und Freiheit und Beziehung.
  • Und die drei Erscheinungsformen, zu denen ich etwas sagen möchte, das sind einmal 
    • Menschengebote und Heuchelei. Und da möchte ich mir gemeinsam mit euch anschauen: Was machen eigentlich Menschengebote mit uns im Gegensatz zu Gottes Geboten und vor allem dann, wenn sie entweder, wenn sie entweder als Ergänzung oder gar als Ersatz zu Gottes Geboten daherkommen. Und da möchte ich zwei Varianten mit euch betrachten, nämlich einmal die Enge, die dadurch entsteht, und auch die Heuchelei, die Falschheit, die dadurch entsteht. 
    • Die zweite Erscheinungsform, die ich mit euch anschauen möchte, ist Falsch verstandene Freiheit. Das ist, glaube ich, auch ein ganz modernes Thema, weil das Thema Freiheit ist ja momentan in aller Munde und da möchte ich uns fragen "Was macht falsche Freiheit mit uns?" Wohin führt sie? 
    • Und last but not least möchte ich gemeinsam mit euch anschauen Wie schaut es aus, wenn ich versuche, Gottes Gebote Mit eigener Kraft zu halten? Und da werden wir sehen, dass dieser Weg in die Verzweiflung führen muss.
  • Und zu jeder dieser drei verschiedenen Erscheinungsformen werde ich sicherlich auch noch mal, mal kürzer, mal etwas länger, etwas zu einem Weg sagen, wie man da rauskommt. Aber den Knaller habe ich mir für den Schluss aufgespart, weil zum Schluss möchte ich uns noch mal Das Evangelium sagen und diesmal vielleicht aus einem etwas anderen Blickwinkel. 
Lasst euch überraschen. Ich vermute, dass es für den einen oder anderen etwas ungewohnter Blickwinkel sein könnte, aber es ist auf jeden Fall ein biblischer Blickwinkel.

Was ist Sünde?

Was ist Sünde? Können wir jetzt auf einer ganz einfachen Ebene anfängt? Dann könnte man sagen Sünde ist entweder die aktive Übertretung von Gottes Gebot oder die passive Unterlassung. Und dann wäre ich mit meiner Predigt auch schon fertig. Das wäre jetzt mal so eine ganz kurze Definition, aber ich hoffe, wir werden noch sehen, dass das Thema wesentlich voluminöser ist.

Mal ganz kurz die wichtigsten Dinge, die ich mir da aus diesem Bibellexikon rausgezogen habe, sind erstmal die Wörter, die die gebraucht werden, um um Sünde zu beschreiben. Sünde ist ja jetzt ein Wort. Wenn ich euch fragen würde "Was ist die Wurzel von Sünde?2 Also wenn ich euch jetzt nach der etymologischen Bedeutung fragen würde, dann würden manche von euch sagen "Ja, das kommt von Sund oder tiefer Graben oder was weiß ich was." Also ich könnte es jetzt aus dem Stegreif nicht sagen, was das Wort Sünde überhaupt bedeutet, außer die Bedeutung, die wir alle mit uns herumschleppen.

Wenn man jetzt ins Alte Testament reinschaut und sich die Wörter anschaut, die dort im Zusammenhang mit Sünde verwendet werden, dann findet man Wörter mit Wurzeln, die in die Richtung gehen Zielverfehlung, Auflehnung, Verkrümmung oder Abirren.

Also Zielverfehlung: wie "Ich möchte irgendwo hin schießen und ich schieße daneben", zu kurz, zu lang, zu weit oder was auch immer; links und rechts daneben. Auflehnung: in Richtung Rebellion. Ich richte mich gegen eine Autorität und lehne mich auf. Verkrümmung (ich finde das Bild ganz schön), Sonnen und schwarze Löcher: Eine Sonne strahlt das Licht nach außen; ein schwarzes Loch krümmt den Raum so sehr, dass das Licht ins schwarze Loch zurückfällt. Und so ist es ja auch mit der Liebe und uns Menschen: Wir sind dazu geschaffen, zu lieben und Gottes Liebe, die wir empfangen haben, weiterzugeben und zu strahlen wie eine Sonne. Und das, was passiert als gefallene Menschen: Wir werden zu schwarzen Löchern und die einzigen, die wir dann noch lieben, das sind wir selbst. Also Verkrümmung. Und dann: Abirren, einfach vom Weg abkommen. Das sind jetzt mal nur so ein paar Wortbedeutungen aus dem Alten Testament.

Im Neuen Testament ist es ähnlich. Auch da wieder das Wort Zielverfehlung, also Harmatia, Zielverfehlung: daneben schießen. Ungehorsam hat auch was mit - man merkt schon, das spielt dieses Thema Autorität schon rein, weil Gehorsam heißt ja auch, dass mir jemand sagt, was ich zu tun und zu lassen habe. Und dann Gesetzlosigkeit. Da werden wir heute noch ganz konkret drauf kommen.

Das heißt, allein diese vielen Worte zeigen schon, dass Sünde auch begrifflich schwer zu packen ist. Sie ist Rebellion, sie ist Ungehorsam, sie ist Abfall von Gott. Und jede einzelne Sünde begründet eine Schuld. Und jede Schuld erfordert Bezahlung oder Genugtuung. Wenn man das jetzt alles zusammenfasst - und jetzt kommt mal mein Versuch ein erster Versuch, Sünde zu definieren -, dann würde ich sagen:. 

Sünde ist ein Hang in meinem Inneren, der Gottes Gebote nicht halten will und Gottes Gebote auch nicht halten kann. Sie ist der rebellische Missbrauch meiner von Gott gegebenen Freiheit, um Gottes Autorität den Rücken zu kehren und selbst zu definieren, was gut und was böse ist, bzw. mit eigener Leistung zu erreichen, was nur Gott schenken kann. Sünde ist damit auch und vor allem der Zerbruch der Beziehung zu Gott und damit die Ursache für den Verlust der Beziehung zu dem Einzigen, der allein vollkommen und gut ist.

Ich als Mensch bin nicht vollkommen und gut. Und ich verliere die Beziehung zu dem, der allein alle Weisheit hat; genügend Weisheit, um tatsächlich Gut und Böse definieren zu können. Wogegen ich mir sehr wohl bewusst bin, dass ich begrenzt bin und fehlerhaft. Und ich verliere die Beziehung zu dem, der alle Macht hat, insbesondere die Macht, das vollkommen Gute zu bewirken. Meine Macht ist begrenzt und meine Gutheit ist dahin, sage ich mal seit dem Sündenfall.


Menschengebote und Heuchelei

Aber wie tritt jetzt die Sünde in Erscheinung? Fangen wir mal an mit der Erscheinungsform von Menschengeboten. Ihr seht, da hinten, das sind die zwölf Gebote. Ich hoffe, euch fällt was auf. Ja, also, das machen wir Menschen ja gerne, insbesondere der religiöse Mensch: dem sind Gottes Gebote gar nicht genug. Das muss man alles noch viel feiner ausdetaillieren. Und da wissen wir ja auch: die Pharisäer waren da Weltmeister drin. Ich weiß gar nicht mehr: es gab über 600 verschiedene Vorschriften, die man damals als guter Pharisäer einzuhalten hatte. Und das haben die Pharisäer dann auch dem Volk auf den Buckel geladen.

Und Jesus hat sich über wenige Dinge in seinem Leben aufgeregt. Der ist beleidigt worden, der ist geschlagen worden, der hat sich gegen alle Sachen, die gegen ihn gerichtet waren, nicht mokiert. Aber wenn ihn eine Sache geärgert hat, dann waren das Selbstgerechtigkeit, Hochmut und eben auch: andere Menschen in die Enge zu führen. Da ist er laut geworden. Matthäus 23, Vers vier und fünf lesen wir: "Sie schnüren schwere, kaum tragbare Lasten zusammen und laden sie den Menschen auf die Schultern. Aber Sie selbst machen keinen Finger krumm, um sie zu tragen. Alles, was Sie tun, tun Sie nur, um von den Leuten gesehen zu werden."

Zwei Dinge fallen mir dabei ins Auge. Einmal die untragbaren Lasten und zum anderen die Heuchelei. Für mich bedeutet das: Wo immer wir Gottes aus Liebe Geborenen Geboten - und noch mal: schaut euch die zehn Gebote an; worum geht es da? Da geht es ausschließlich um Dinge, die dem Menschen gut tun. Das ist Gottes Ziel mit seinen Geboten, dass es uns gut geht. Was ist das große Doppelgebot? Es ist ein Gebot der Liebe: Liebe Gott und liebe deinen Nächsten.

Aber dort, wo wir diesen aus Liebe geborenen Geboten unsere eigenen Gebote hinzufügen oder sogar Gottes Gebote durch sie ersetzen, da kommen wir in die Enge, da werden wir engstirnig, da nehmen wir uns und anderen die Luft zum Atmen; bürden uns und anderen untragbare Lasten auf.

Und dort, wo wir es mit Menschengeboten zu tun haben, da geht es auch meist gar nicht mehr um das Wesentliche an Gottes Gesetz, nämlich um Liebe, um Gerechtigkeit, um Barmherzigkeit und Treue, sondern dann geht es um Show. Da geht es darum, von anderen gesehen zu werden als moralisches Vorbild. Und alles, was echt ist: unsere Authentizität, unser wahres Wesen, verschwindet hinter einer Fassade von Äußerlichkeiten. Äußerlichkeiten, die mich und andere einengen und die nur ein Ziel haben, der religiösen Welt vorzuspielen, was ich für ein cooler Typ bin.

Aber jetzt mal Hand aufs Herz: Sind wirklich nur die Pharisäer davon betroffen? Kennt ihr das nicht auch aus christlichen Kreisen? "Du sollst keinen Alkohol trinken." Wird dann meistens übrigens noch aus der Bibel begründet, weil da steht ja drin "Schau nicht in den Wein, wenn er so rot ist." Ja, da steht übrigens auch drin, "Darum hat Gott den Wein gemacht, dass er des Menschen Herz erfreue." Also da könnten wir jetzt schon die erste Diskussion anfangen. Wir werden einfach Dinge aus dem Kontext von Gottes Wort rausgerissen und absolut gesetzt. Ist übrigens auch typisch für Menschengebote. "Du sollst jeden Morgen stille Zeit machen." Nicht, dass das verkehrt wäre, aber spürt ihr was? Wenn das zum Gesetz wird, dann treibt es mich in die Enge. "Du solltest einmal im Jahr deine Bibel durchlesen." Es ist sicherlich gut, wenn ich da Freude dran habe und Gott mir das schenkt. Wunderbar. Aber wo steht das? "Du solltest vor dem Essen beten." Das sind mal so Kleinigkeiten. Ihr Lieben, mich hat das in die Enge getrieben. Ich habe früher immer gedacht, ich muss im Restaurant allen Leuten zeigen, dass ich ein Christ bin, weil sonst bin ich ein schlechter Christ. Also habe ich gebetet. Aber ich wollte eigentlich gar nicht. Heute, wenn ich das mache, mache ich das aus der Freiheit heraus. Ganz schlimm: "Du solltest jedem vergeben (auch denen, die dich gar nicht darum bitten)." Damit müsstest du heiliger sein als Gott, weil der vergibt nur denen, die ihn darum bitten; die umkehren und sagen "Vergib mir!"

Du sollst, du sollst, du sollst. Da gäbe es sicherlich 1000 Beispiele. Und deswegen möchte ich dich bitten, jetzt gerade mal darüber nachzudenken. Was ist es bei dir? Was sind diese Dinge, die dich einengen?

Ich hatte ja gesagt, dass ich alle Erscheinungsformen der Sünde einmal unter drei Blickwinkeln betrachten möchte: der Autorität, Wille und Freiheit und der Beziehung. Und wenn ich jetzt mal diese Erscheinungsform von Sünde als Menschengebote unter dem Aspekt der Autorität betrachte, dann wird klar: Allein Gott, der Schöpfer, hat die Autorität zu definieren, was gut und böse ist. Er allein hat die Autorität zu definieren, was wir tun sollen und was nicht. Und alle menschliche Autorität, die wir kennen, die leitet sich letztlich von seiner Autorität ab und ist von ihm so gestaltet worden. Gott hat den Staat eingesetzt und damit die Regierung. Gott hat die Familie und die Eltern eingesetzt über die Kinder. Und er hat auch in der Kirche Älteste eingesetzt. Das heißt, diese ganzen Autoritäten und Hierarchiestrukturen, die kommen letztlich von Gott.

Wenn wir uns jetzt also als Menschen erdreisten, Gottes Gebote zu erweitern und aus zehn, zwölf Gebote zu machen, oder was auch immer, oder 1000, oder Gottes Gebote gar zu verdrängen oder zu ersetzen. Ihr erinnert euch vielleicht an das Beispiel von den Pharisäern, die gesagt haben "Ja, also wenn du jetzt dein Geld dem auf dem Altar opferst, dann brauchst du deine Eltern im Alter nicht mehr zu versorgen." Das heißt, sie ersetzen die Nächstenliebe durch irgendein Menschengebot. Und wenn wir das tun, dann maßen wir uns Gottes Autorität an, nämlich die Autorität, definieren zu dürfen, was Menschen tun sollten und was nicht. Und die haben wir nicht. Das ist eine Erscheinungsform von Sünde.

Und vom Aspekt des Willens und der Freiheit betrachtet, führt diese Anmaßung in zwei Sackgassen. Zum einen als ernsthafter Empfänger dieser Menschengebote führen Sie mich genau ins Gegenteil von Freiheit. Sie führen mich in die Enge. Sie machen mich zum Gefangenen von Regeln, die über das hinausgehen, was Gott will, oder dem sogar zuwiderlaufen. Sie führen zu einem zerquetschten Gewissen. Und als ernsthafter Täter nehmen sie mir auch die Freiheit zu Authentizität. Ehrlich zu dem zu stehen, wer ich bin. Offen zu sein. Keine Masken zu tragen. Sie machen mich zum Heuchler. Und was noch schlimmer sein kann, wenn ich mir meine Ziele tief genug stecke, so dass ich sie dann auch erreichen kann, dann kommt dabei Selbstgerechtigkeit heraus. Das kennen wir auch von den Pharisäern. Ich weiß nicht, ob ihr solchen Menschen schon mal begegnet seid. Das ist furchtbar. Weil denen spürt man das. Ich hätte fast gesagt, die tragen so eine Aura mit sich rum, sie sind besser als der Rest der Welt. Schau mich an, ich bin der Gerechte. Wer bist du?

Und das bringt mich dann auch auf den Blickwinkel der Beziehung. Spürt ihr, wie sich das anfühlt? Mit solchen Menschen umgeben zu sein? Mit Menschen, die eine Maske tragen? Die nicht echt sind? Nicht wahrhaftig? Nicht authentisch? Mit Menschen, die sich besser fühlen als ihr? Ständig unter Beobachtung zu stehen. Wer von uns möchte gerne mit einem verlogenen Typen in einem Raum sein, der nur Show macht? Wer will gerne unter einem Damoklesschwert stehen, verurteilt zu werden, weil er nicht perfekt genug ist? Ich würde mal sagen Menschengebote und Heuchelei zerstören Beziehungen und das fühlt sich madig an!

Aber wo ist dann der Ausweg? Der Ausweg liegt hier, und wie immer bei der Sünde, in einer Umkehr; in einem bewussten, willentlichen und ernsthaften Neuanfang. Und der beginnt in diesem Fall erst mal mit der Freiheit, die mir in Christus geschenkt ist: dass ich dem Gesetz gestorben bin und [in/für] Christus lebe. Und das beginnt für den Selbstgerechten vielleicht auch mit der Erkenntnis der eigenen Anmaßung und Arroganz. Ich denke, der Weg der Umkehr, der hat immer diese Elemente Selbsterkenntnis, Umkehr, Reue und Vergebung. Aber davon später mehr.


Falsch verstandene Freiheit

Jetzt könnte man ja sagen: "Okay, haben wir erkannt; das ist jetzt also mal nicht der Weg, neue Gebote mit dazu zu machen; dann also bitte weg mit den Geboten." Das beste Beispiel und das kennen wir alle auch - und ich weiß nicht, Freddy hat mich, glaube ich, darauf aufmerksam gemacht - das Gleichnis vom verlorenen Sohn. Da bin ich jetzt, glaube ich, der dritte, der da was zu sagt, aber es passt halt einfach. Und da wir das ja jetzt alle schon so oft gehört haben, haben wir es hoffentlich auch noch im Hinterkopf. Deswegen beziehe ich mich da bloß mal so hin und wieder drauf. Ich werde das ganze Gleichnis jetzt nicht vorlesen, aber nur mal kurz als Zusammenfassung:. 

Nummer zwei, der Jüngere, hat sich sein Erbe vorzeitig auszahlen lassen, ist in die weite Welt gezogen und hat die Kohle von seinem alten Herrn durchgebracht, als ob es kein Morgen gäbe. Und alles, was für ihn zählte, war Freiheit, maximaler Spaß. Und da könnte man ja auch fragen "Wo liegt denn da jetzt der Fehler?" Wir haben doch gerade eben gesehen, dass zu viele Gebote nicht gut sind. Dann müsste das doch jetzt die Lösung sein. Weg damit! Und ihr Lieben, es gibt viele Christen, die argumentieren genau so und sagen "Für mich gelten keine Gebote mehr, gar keine, nicht mal mehr die zehn Gebote oder das große Doppelgebot der Liebe." Warum? Ich bin ja frei vom Gesetz. Weg mit den Geboten.

Ihr Lieben, sollte das auf euch zutreffen, dann würde ich euch bitten: nehmt euch eure Bibel noch mal zur Brust und liest sie noch mal ganz genau durch. Weil in meiner Bibel steht, dass Gott ein Ziel hat, dass er von Anfang der Schöpfung bis zu ihrem Ende verfolgt: "Lasst uns Menschen machen, ein Bild, das uns gleich sei."; das ist im Paradies zerbrochen. Für die Schuld hat Christus am Kreuz bezahlt. Und was jetzt danach kommt in unserem Glaubensleben, ist ein Leben der Heiligung. Das ist ein Leben, in dem wir mehr und mehr verwandelt werden in sein Bild, bis wir ganz zum Schluss aufgenommen werden in die Herrlichkeit. Aber ganz sicherlich nicht ohne.

Aber gut, der jüngere Sohn hat das so gesehen: "Weg mit den Geboten!" Und wenn ich das jetzt mal unter dem Blickwinkel der Autorität betrachte, dann stellt sich da das Geschöpf gegen den Schöpfer, oder im Bild gesprochen der Sohn gegen den Vater. Definiert für sich eigenmächtig, was gut und böse ist. Und gut ist natürlich alles, was mir gefällt. Und erlaubt ist auch alles, was mir gefällt. Und so denkt sich der jüngere Sohn "Hauptsache, ich habe Spaß und ich kann tun und lassen, was ich will." Mein Glücksgefühl - und ihr Lieben, schaut euch die Gesellschaft heute bitte ganz genau an! - diesen Satz, den könnte ich der ganzen Gesellschaft auf die Stirn schreiben: "Mein Glücksgefühl ist mein oberstes Ziel." - "Mein Glücksgefühl ist mein oberstes Ziel." Nicht etwa die Liebe zu Gott oder Gottes Ehre.

Schaue ich mir das Ganze an unter dem Blickwinkel von Wille und Freiheit, dann merke ich, wenn ich genauer hinschaue: Da geht es eigentlich gar nicht um Freiheit. Da geht es um den Missbrauch von Freiheit. In Wirklichkeit geht es um Ichsucht, um Egoismus, um Hedonismus und um Genusssucht. Und diese Art von Gesetzlosigkeit, ihr Lieben, führt in die Falle und nicht in die Weite. Und ich habe das selber so in meinem Leben erlebt: Wenn man alles darf, dann macht man auch alles. Und manches davon treibt in Sucht und in Abhängigkeit. Bevor ich zum Glauben gekommen bin, war ich drogensüchtig und zwar richtig schick. Und da kommst du alleine so nicht raus. Das heißt, diese vermeintliche Freiheit, dieser Glaube tun und lassen zu können ohne Konsequenzen, was man will, der führt in die Enge, in die Falle, in die Sucht, in die Abhängigkeit. Paulus sagt es in Römer acht, Vers acht so, dass Menschen, die nur sich selbst dienen, Gefangene sind ihrer selbstsüchtigen Natur. Und ihr kennt vielleicht auch diesen Ausruf aus Römer sieben, Vers 24 "Ich unglückseliger Mensch, wer wird mich jemals aus dieser tödlichen Gefangenschaft befreien?"

Und alle Gesetze abzuschaffen, das macht auch etwas mit meiner Beziehung zu Gott. Denn Gott ist nicht nur Liebe. Das wird immer so gern zitiert: "Ja, Gott ist doch die Liebe." Wenn es mir dabei gut geht, was sollte er dagegen haben? Gott ist nicht nur die Liebe, ihr Lieben, Gott ist auch heilig. Und deshalb schreibt Paulus im Römerbrief "An denen, die Gefangene ihrer selbstsüchtigen Natur sind, kann Gott unmöglich Gefallen finden." Eben weil er heilig ist. Weil er das Böse nicht gutheißen kann. 

Und falsch verstandene Freiheit macht auch etwas mit meiner Beziehung zu meinem Nächsten. Sie macht sie kaputt. Und wer jemals die andere Seite von Ehebruch erlebt hat, also nicht als Täter, sondern als Opfer, der weiß, was ich meine. Und auch um noch mal das Gleichnis vom verlorenen Sohn aufzugreifen: Schaut euch mal den Vater an! Wie mag es dem gegangen sein; all die Jahre? Ich vermute, der es jeden Tag rausgegangen und hat gewartet. Jeden Tag sehnsüchtig, dass sein Sohn nach Hause kommt. Was macht das mit Beziehung? Oder der Bruder? Der schnappt sich der junge Bursche das halbe Erbe und schiebt ab; lässt ihn mit der ganzen Arbeit alleine. Was macht das mit Beziehung? Und auch da die Frage an dich: Wenn es also darum geht, alle Gesetze abzuschaffen, zu tun und zu lassen, was ich will: "Kennst du das?"

Auch hier die Frage: "Wo ist der Ausweg?" Ich denke, der Anfang des Auswegs liegt in der Erkenntnis, dass Freiheit und Selbstsucht zwei ganz verschiedene Dinge sind. Ich denke, sie liegt in der Erkenntnis, dass wahre Liebe Grenzen setzt und wahre Liebe sich an Grenzen hält, weil wahre Liebe nicht maßlos ist. 

Und was ist auch in diesem Fall, wie in allen anderen Fällen, braucht, um umzukehren, sind mehrere Wunder - und ich meinte es wirklich so, wie ich es sage: - mehrere Wunder; nicht Sachen, die schwierig sind, sondern Wunder. Das erste Wunder ist das der Selbsterkenntnis. In der Hoffnung für alle steht da im Gleichnis vom verlorenen Sohn. Der Satz "Da kam er zur Besinnung." Und ich sage das ist ein Wunder, weil das ist nicht der normale Lauf der Dinge. Ich kenne viele, viele Menschen aus meinem früheren Bekanntenkreis, die haben sich so verrannt, aber die sind über all die Jahrzehnte nicht zur Besinnung gekommen. Das zweite Wunder ist die Umkehr. Der jüngere Sohn sagt "Ich will zu meinem Vater gehen (und so weiter und so fort)." Ich drehe um. Ich gehe den Weg zurück, den ich gekommen bin. Das dritte Wunder ist die Reue, das Bedauern eigener Fehlentscheidungen und Taten. Der nimmt sich vor zu sagen "Ich will ihm sagen Vater, ich bin vor Gott und vor dir schuldig geworden." Ihr Lieben, wie viel braucht das? Wie viel braucht das, bis ein Mensch dazu bereit ist: die Maske fallen zu lassen und zu dem zu stehen, was er ohne diese Maske im Spiegel sieht? Kein strahlendes, gottgleiches Antlitz. Und das vierte und sicherlich größte Wunder ist die Vergebung. Ich finde das so ein schönes Bild im Gleichnis vom verlorenen Sohn, weil so ist Gott: Der steht jeden Tag neu an der Straße und wartet jeden Tag von vorne. Und als der Sohn dann kommt: keine Vorwürfe, nicht ein Wort. Er umarmt ihn, weil er sich einfach nur freut, dass sein Kind wieder zu Hause ist. Und so möchte ich dich heute auch fragen: "Was spricht Gott in deinem Herzen? Heute ist der Tag zum Umkehren! Gott wartet."


Mit eigener Kraft

Ihr Lieben, wir haben gesehen, dass es keine Lösung ist, gottes Geboten eigene dazuzusetzen oder Gottes Gebote durch eigene zu ersetzen. Wir haben gesehen, dass es auch keine Lösung ist, Gottes Gebote abzuschaffen. Ja, was denn dann? Dann kann die Lösung doch nur noch sein, Gottes Gebote aus eigener Kraft zu halten. Und dann habe ich bei der Predigtvorbereitung gedacht: "Jetzt brauche ich aber mal ein gutes Beispiel." Und dann kam der Heilige Geist und hat mir auf die Schulter getippt und hat gesagt: "Das kennst du.!" Wie viele Jahre und Jahrzehnte habe ich versucht, es Gott recht zu machen? Wie viele Jahre und Jahrzehnte habe ich versucht, ein guter Christ zu sein? Und ihr Lieben, ich bitte euch, hört immer mit diesem Ohr zu: "Ist das 'meins'?" Wie viele Male bin ich daran gescheitert, aus eigener Kraft gerecht zu werden? Und wie viel unendliche Geduld hat Gott mit mir gehabt? Jahrzehnte habe ich immer wieder die gleichen Sorten von Versen gekriegt. Und übrigens, der Vers, den ich heute bekommen habe, der bedeutet mir wahnsinnig viel. Der ist für mich auch ein Zeichen dafür, dass es vorbei ist damit. "Hinds Feet on High Places"; krasses Buch; "Die Füße der Hinden auf den Bergen", oder?

Aber was hat Gott mir all die Jahre gesagt? Durch Gesetzeswerke wird kein Mensch vor ihm gerecht. Denn durch das Gesetz kommt die Erkenntnis der Sünde. Oder Galater 3,2 wo Paulus die Galater und mich fast verzweifelt fragt "Ich möchte euch nur eines fragen: Hat Gott euch seinen Geist gegeben, weil ihr das Gesetz befolgt habt oder weil ihr die Botschaft gehört und angenommen habt, dass es vor Gott auf den vertrauenden Glauben ankommt?" Und ein Oberknaller, den habe ich über viele, viele Jahre immer wieder - den gleichen Vers - bekommen, weil ich wollte ja immer was tun: Jesaja 30,15 "Denn so spricht Gott, der Herr, der Heilige Israels. Wenn ihr umkehrtet und stille bliebet, so würde euch geholfen. Durch Stille sein und Vertrauen würdet ihr stark sein. Aber ihr habt nicht gewollt." Ihr habt nicht gewollt!

Und ich konnte das einfach nicht fassen, dass es so einfach sein sollte, dass die Tür zum Himmel längst offen war. Wie könnte Gott mich lieben? Ich bin ein Sünder. Er ist heilig. Er ist der Allmächtige. Er ist der Richter aller Welten. Und steht es nicht auch in der Bibel? "Heiligt euch, denn ich bin heilig, denn ich bin der Herr, euer Gott. "Oder auch im Neuen Testament. Erster Petrusbrief: "Es steht geschrieben Ihr sollt heilig sein, denn ich bin heilig." Da steht es doch! Und dann auf jeder Seite der Bibel: Imperative. Gebote. Muss man die denn nicht alle halten? Wo liegt dann also der Fehler?

Betrachtet aus dem Blickwinkel der Autorität muss man ja zumindest schon mal anerkennen, dass der Mensch, der es in eigener Kraft versucht, den Schöpfer auf dem Thron lässt. Dass er anerkennt, dass Gott allein die Gebote macht. Dass er anerkennt, dass es einen Gott gibt und dass er regiert, dass er definiert, was gut und böse ist. Daran kann es also nicht liegen. Aber schaue ich aus dem Aspekt von Wille und Freiheit darauf, dann merke ich, dass der, der diesen Weg geht, sich selbst zu viel zutraut. Er sucht die Lösung in der eigenen Anstrengung, in der freien Ausübung seines Willens. Aber er überliest, was Paulus sagt "Wollen habe ich wohl, aber das Gute vollbringen kann ich nicht." Und so macht er immer wieder die verzweifelte Erfahrung: "Ich tue nicht, was ich will, sondern das, was ich hasse. Das tue ich." Und so tut er dann Buße und versucht es von neuem. Und merkt nicht, dass auch das eine Form von Sünde ist. Und diese Sünde heißt Werkgerechtigkeit.

Und auch noch mal mit der Brille von Beziehungen betrachtet: Da sieht es auch nicht besser aus. Erst einmal meine Beziehung zu Gott. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass Gott mich liebt. Was ist das für eine Art von Beziehung, wenn ich dem anderen noch nicht mal das zutraue, dass er mich mag? Und ich hatte doch gute Argumente! Nur hatte ich übersehen, dass Gott mich nicht liebt, weil ich so toll bin, sondern dass er mich liebt, weil er die Liebe in Person ist; weil er mich lieben will.


Das Evangelium


Und damit wären wir wieder beim Willen. Meine Erlösung liegt nicht in meinem Willen, meine Erlösung, die liegt in Gottes Willen. Gott sei Dank! Die Gerechtigkeit, die vor Gott gilt, die finde ich also nicht in mir, sondern außerhalb von mir. Luther nannte das "iustitia aliena" oder "iustitia extra nos", also eine "fremde Gerechtigkeit" oder eine "Gerechtigkeit außerhalb unserer selbst". Denn wenn ich auf mich schaue, dann werde ich Johannes recht geben müssen, wenn er sagt "Wenn wir sagen, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns." Wenn ich auf mich schaue, dann muss ich noch immer sehnsüchtig mit Paulus rufen "Nicht, dass ich schon ergriffen habe oder schon vollkommen sei. Ich jage ihm aber nach, ob ich es wohl ergreifen möchte, weil ich von Christus Jesus ergriffen bin." Und letzten Endes: wenn ich allein auf mich schaue, dann werde ich immer wieder an diese Stelle kommen, wo ich traurig und vielleicht sogar verzweifelt mit Paulus rufe "Ich Elender Mensch, wer wird mich erlösen von diesem Leibe des Todes?"

Aber meine Gerechtigkeit liegt nicht in mir, in meiner Leistung, in meinen Taten. Meine Gerechtigkeit liegt allein in Christus. Und wenn ich allein auf Christus schaue, dann kann ich vor Freude rufen "Ich weiß, dass mein Erlöser lebt." "Er ist um unserer Missetaten willen verwundet, um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, dass wir Frieden hätten." Er ist ohne Sünde. Er hat ein Leben in vollkommener Gerechtigkeit geführt, Und er hat für meine und für deine Schuld bezahlt. Vergangene, gegenwärtige und zukünftige. Und das alles schenkt er dir. Darum heißt es "Gott hat den, der von keiner Sünde wusste, für uns zur Sünde gemacht, auf dass wir in ihm die Gerechtigkeit würden, die vor Gott gilt." Das ist der beste Tausch deines Lebens! Deine Sünde für seine Gerechtigkeit. Geschenkt!

Aber jetzt könnte man immer noch ein bisschen Schiss kriegen und sagen "Ja, dann sind die vergangenen Sünden vergeben. Aber ich mache ja jeden Tag wieder Mist!" Das Beste kommt noch. Christus ist nicht nur unsere Rechtfertigung. Er macht uns nicht nur gerecht vor Gott, weil er ein gerechtes Leben geführt hat, was er uns aufs Pluskonto schreibt und weil er am Kreuz für unsere Schuld gestorben ist und uns damit das Minus nimmt. Er sorgt auch dafür, dass wir ihm immer ähnlicher werden, und er allein wird dafür sorgen, dass wir eines Tages völlig erlöst sind. Und das ist das, was erste Korinther 1:30 - den könnt ihr heute bitte mal mitnehmen - was dort steht: "Christus ist uns gemacht zur Gerechtigkeit, zur Heiligung und zur Erlösung." Nicht nur zur Gerechtigkeit, auch zur Heiligung, auch zur Erlösung. Ihr Lieben, wir suchen unsere Gerechtigkeit vielleicht in Christus und sagen Er ist für meine Schuld gestorben. Er ist auferstanden, und sein gerechtes Leben hat er mir zugeschrieben. Das ist 1/3 der Miete. Und dann versuchen wir, den Rest selbst zu tun. Er ist unsere Heiligung. Er ist unsere Erlösung.

Aber wie soll das funktionieren? Ich stecke doch in mir drin. Ich muss doch jeden Tag handeln. Und mal ganz ehrlich, wir sollen doch die Gebote halten. Haben wir doch gesehen. Die zehn Gebote. Das große Doppelgebot der Liebe. Ja, natürlich! Aber auch hier, ihr Lieben, es liegt nicht an uns. Es liegt an Christus in uns! Es geht nicht darum, dass wir machen. Es geht darum, dass wir ihn machen lassen. Denn die Wahrheit ist doch - und Jesus weiß das; er hat das selber gesagt: Johannes 15,5 - "Ohne mich könnt ihr nichts tun." Nicht wenig oder ganz wenig. Oder ein klitzekleines bisschen. Nichts. Und ihm ging es genauso. Johannes 5,30, sagt er "Ich kann nichts von mir aus tun." Wie hat Jesus all diese Wunder getan? Es war der Vater in ihm, der Heilige Geist in ihm. Auch er hat machen lassen. Das übersehen wir leicht.

Alles, was Jesus von uns erwartet, ist, dass wir ihn machen lassen. Alles, was er von uns erwartet, ist, dass wir ihm vertrauen, dass er uns mit der Zeit ans Ziel bringt, seine Ebenbilder zu werden. Was wir dazu tun müssen, ist, mit ihm verbunden zu bleiben. Auch das finden wir in Johannes 15, verbunden mit seinem Wort; das heißt verbunden mit der Bibel, mit der Heiligen Schrift; verbunden mit seinen Kindern; verbunden mit der Gemeinschaft in der Gemeinde; verbunden mit ihm im Abendmahl; und verbunden mit ihm und einander im Gebet. Und das ist nicht schwer. Das ist was, das schaffen wir. Die wahren Dinge, die macht er.

Das ist das Geheimnis: Christus lebt in euch! Darin liegt eure Hoffnung: Ihr werdet an seiner Herrlichkeit teilhaben.

Amen.

Sonntag, 21. Januar 2024

Thomas Mayer - Du bist ein Gott der mich sieht – 1. Mose 16,13


[Predigt als MP3

Wir wollen uns heute einen einzigen Satz aus der Bibel noch mal genauer anschauen. Und ihr kennt diesen Satz, denn es ist die Jahreslosung vom letzten Jahr. Vielleicht hat ja auch mal einer darüber gepredigt, So wie du oder andere. Keine Ahnung, weiß ich nicht, sag ich mal. Dass ist dieser Satz „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Um diesen Vers soll es heute Morgen gehen. Ich werde dazu dann auch einige ganz praktische Beispiele gegen Ende der Predigt erzählen, wie wir das – so wie wir mit Menschen umgeben sind, die das so erlebt haben – wie wir das selbst so erlebt haben. 

Weil ich das für etwas sehr Kostbares halte. Dass wir nicht an eine Idee glauben. Dass wir nicht an einen toten Götzen glauben, sondern dass wir glauben dürfen an einen Gott, der uns ganz persönlich sieht. 

Wenn man mal nachschaut: „Wer hat eigentlich dieses Bekenntnis?“ – das ist ja ein Bekenntnis: „Du bist ein Gott, der mich sieht“; es ist die Formulierung einer Erfahrung: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ – wenn man mal nachschaut, wer hat eigentlich dieses Bekenntnis zuallererst gesprochen, dann finden wir in der Bibel, dass das eine ägyptische Magd war: Hagar. 

Und ich gehe mal davon aus, dass sie als Ägypterin keine Jüdin war. Eigentlich. Von ihrem Ursprung her. Und doch formuliert sie nachher diesen Satz: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Sie ist natürlich aufgewachsen – oder hat gelebt – mit Abram und Sarai, dem Glaubensvater aus dem Alten Testament und seiner Frau. Und von daher hat sie wahrscheinlich schon etwas mitbekommen. Dass Abram und Sarai an einen – an diesen – Gott geglaubt haben. An diesen unsichtbaren Gott geglaubt haben. Nicht an eine Vielgötterwelt, sondern an diesen einen unsichtbaren Gott. Aber ich denke, sie selber hatte noch keine Erfahrung an dieser Stelle. 

Und wenn wir mal nachschauen, aus welcher Situation heraus kam Hagar eigentlich zu dieser Erfahrung: „Gott ist ein Gott, der mich sieht“? – dann ist es ganz interessant, wenn wir nach 1. Mose 16 gehen, denn dort steht dieser Satz: erste Mose 16, Vers 13 – dann merken wir: Hagar empfängt diese Erfahrung mitten in einer Krisensituation. Und zwar hinein in eine Krisensituation, die für sie äußerst schmerzlich und äußerst bedrohlich war. Ich schildere das gleich noch ein stückweit. 

Aber wenn heute jemand vielleicht da ist und in so einer schmerzlichen Situation ist, oder in einer bedrohlichen Situation ist, dann möchte ich ihm zusagen: Genau das kann die Situation sein, wo wir die Erfahrung machen: „Es gibt einen Gott, der mich sieht.“ Ja, ich würde sogar sagen, es sind oft die Krisenzeiten unseres Lebens, wo wir etwas von Gott erfahren, was wir außerhalb dieser Krisenzeit so nie von Gott erfahren hätten.

Wir Menschen haben immer Angst vor Krisen. Und das ist ja auch logisch, weil Krisen sich nicht gut anfühlen, weil Krisen nicht schön sind. Aber Krisenzeiten haben auch ihre Chance. Und Krisenzeiten sind oft äußerst wertvoll im Leben von Menschen. Im Moment gibt es ein Ehepaar bei uns in der Umgebung in Hutthurm, wo ich ja lange Jahre Ältester war. Die durchleben so eine Krisenzeit. Die Frau war schwanger bis in den achten Monat. Sie haben sich total gefreut auf ihr drittes Kind. Auf einmal spürt die Frau keine Kindsbewegungen mehr. Sie besprechen das noch in der Gemeinde. Da gibt es noch Frauen, die sagen „Bei mir war das auch eine Zeit lang so, ich habe auch mal ein paar Tage keine Kindsbewegungen gespürt“, usw. Und auf einmal wird klar: das Kind ist tot. Abgestorben. Die Frau hat ein totes Kind zur Welt gebracht. Etwas, was sehr, sehr schwer ist. Nächste Woche wird da die Beerdigung sein. Ja, in ungefähr einer Woche wird da die Beerdigung sein. Eine sehr, sehr schwierige Situation für das Ehepaar. Für das Umfeld. Ganz, ganz schwer. Und trotzdem vielleicht eine Situation, in der sie erleben können: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ 

Es gibt ja Bekenntnisse, die formulieren wir Menschen aus der bloßen Theorie heraus. Der Hiob hat einmal das so gesagt „Ich hatte von dir nur vom Hörensagen vernommen.“ Und dann gibt es aber auch Bekenntnisse, die formuliert ein Mensch aus dem echten tiefen Erkennen. Und oft steht vor dem Erkennen ein Erlebnis; eine Erfahrung. 

Und diese Bekenntnisse haben immer einen besonderen Stellenwert. Der Hiob sagt es dann: „... aber nun hat mein Auge Dich gesehen!“ Was ist das für ein Unterschied, ob ich etwas über Gott formuliere vom Hörensagen, oder ob ich etwas über Gott formuliere, weil mein Auge Ihn gesehen hat? Was für ein Unterschied! Ich glaube, ein ganz, ganz, ganz gewaltiger Unterschied! 

Wenn wir uns nun die Frage stellen „Wie war das bei Hagar?“ In welcher Situation kam sie zu dieser Erkenntnis: „Es gibt einen Gott, der mich sieht.“? Dann merken wir, wenn wir erste Mose 16 aufschlagen: es war eine sehr, sehr schwierige Situation: sie wurde gedemütigt. 

Hat schon mal jemand von uns richtige Demütigung erlebt? Weiß jemand von uns, was Demütigung ist? Ich glaube, wir leben in einer Zeit, wo wir so eine richtig tiefe, echte Demütigung eher seltener erleben. Aber wer Demütigung erlebt, der weiß, dass Demütigung vielleicht zu den schwersten Erfahrungen im Menschsein gehört. 

Und es ist interessant, dass Hagar – die ja die Magd von Sarai war – auf diese schwerwiegende Erfahrung der Demütigung ganz spontan so reagiert hat: „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ Und die Bibel beschreibt uns dann: sie ist geflohen vor ihrer Herrin, vor Sarai. Wir beleuchten die Situation, den Hintergrund gleich noch ein bisschen näher. Aber sie ist geflohen vor dieser schwerwiegenden Erfahrung, dass sie gedemütigt wurde. 

Das ist übrigens die Gefahr unseres Lebens: die Gefahr unseres Lebens ist, dass wir schwere Momente in unserem Leben erleben - und wir fällen Ad-hoc-Entscheidungen, zum Beispiel, aus dem Gefühl heraus: „Das lasse ich mir nicht gefallen!“ „Unter diesen Umständen kann ich nicht leben!“ Oder wie auch immer. Und dann treffen wir Entscheidungen, die unser Leben in schwerste Konflikte oder in schwerste Krisen bringen. 

Bei Hagar war das so. Sie ist geflohen vor Sarai. Aber man muss sich das mal vorstellen, was das bedeutet: sie war zu dieser Zeit schwanger! Sie verlässt den Ort, wo sie ein zu Hause hat! Wo hat sie denn geschlafen? In den Zelten von Abram. Wo hat sie denn ihre Nahrung hergehabt? Von Abram. Wo hat sie denn ihren Schutz hergehabt? Als Frau: durch die Sippe von Abram. Und sie verlässt das alles aufgrund eines Gefühls: „Ich kann unter diesen Umständen nicht leben!“ 

Sehr interessant ist, dass Gott, als er ihr begegnet, durch einen Engel, ihr nachher sagt „Geh zurück zu Sarai und demütige dich unter die Hand deiner Herrin.“ Das heißt im Grunde genommen, dass das, was Hagar als so schrecklich empfunden hat – dass sie sagt: „Ich kann hier keinen Moment weiterleben“ – das wird von Gott so eingeschätzt, dass Er sagt: “Ja, ich weiß: das ist eine Zumutung für dich. Ja, ich weiß: das ist schwer für dich. Aber es ist der bessere Weg für dich. Geh zurück. Und demütige dich unter die Hand deiner Herrin.“ Warum? Da hatte sie plötzlich wieder einen Ort zum Leben, zum Schlafen, zum Leben. Sie hatte Essen. Sie hatte Schutz. Sie hatte alles. Alles, was sie hier aufs Spiel gesetzt hätte, wenn Gott ihr da an dieser Stelle nicht begegnet wäre. 

Die Bibel beschreibt also in Kapitel erste Mose 16, Vers 6, dass Sarai die Hagar gedemütigt hat. Wie ist diese Situation zustande gekommen? Denn das ist sehr interessant, wie die Situation zustande gekommen ist. Wir wissen, Abram und Sarai hatten kein Kind. Sie wurde nicht schwanger. Sarai wurde nicht schwanger. Sie waren schon lange verheiratet und sie wurde nicht schwanger. Und es war so dieses Denken in der Sarai drin: „Ich werde nicht schwanger! Ich werde nicht schwanger!“ Das war für eine Frau damals sehr, sehr wichtig: schwanger zu werden; Kinder zu haben. Es war natürlich auch die Verheißung Gottes im Hintergrund. Aus euch soll ein großes Volk werden. Und dann immer dieses Erlebnis, sozusagen: irgendwas ist hier ein Problem und ich kann nicht schwanger werden. 

Und sie kommt auf diese Idee. Ihr kennt das – wer die Bibel gut kennt – sie kommt auf die Idee: „Ich habe ja eine Leibmagd. Ich gebe meine Leibmagd meinem Mann. Er soll mit ihr schlafen. Und wenn sie schwanger wird und dieses Kind dann auf meine Knie gebärt, dann ist es wie mein Kind!“ Das war ein altorientalischer Brauch. Also Leihmutterschaft gibt es schon lange. Das ist keine neuzeitliche Erfindung, sage ich mal. Diesen Brauch gibt es schon sehr lange. Den gab es damals auch schon im Alten Orient und Sarai kommt auf diesen Gedanken und sie gibt ihre Leibmagd Abram. Und die Bibel sagt er wohnte ihr bei und sie wurde schwanger.

Interessant ist: Hagar hatte da gar keine ... – gar nichts zu melden. Wir können mal davon ausgehen, dass sie nicht gefragt wurde: „Hagar? Möchtest du heute Abend mit deinem Herrn schlafen? Möchtest du gerne ein Kind zur Welt bringen von deinem Herrn?“ Sondern sie war Magd. Sie war Leibmagd. Sie war Sklavin, das heißt, sie wurde überhaupt nicht gefragt. Da gab es ein Autoritätsgefälle, dass überhaupt keinen eigenen Raum gab für das, was Hagar wollte. 

Und es ist interessant, gerade in solchen Fällen. Es ist dann oft so, dass es eine Art Kompensation gibt. Das beschreibt die Bibel hier auch. Denn als Hagar schwanger wurde von Abram, lesen wir da: „Als sie nun sah, dass sie schwanger war, achtete sie ihre Herrin gering.“ Und die Sarai formuliert es dann so. „Ich habe dir meine Magd in die Arme gegeben. Nun aber, wo sie sieht, dass sie schwanger geworden ist, bin ich gering geachtet in ihren Augen.“ 

Ich glaube, es gibt im Leben immer wieder so einen Ausgleich. Da wird jemand ... – es wird über seinen Kopf hinweg bestimmt. Und gleichzeitig in dieser Erniedrigung erlebt er dann etwas, was ihn erhöht. Und das führt dann zu Hochmut. Und was mir an der Sache ganz wichtig ist: Wenn Hagar nachher in diese Situation kommt, dass sie Demütigung erlebt und dass die Demütigung für sie so schwerwiegend ist, dass sie flieht vor ihrer Herrin, dann ist das eine Mischung aus fremder Schuld und eigener Schuld. Wie und das sage ich jetzt mal ganz deutlich ich glaube, dass ganz viele Krisen unseres Lebens oft eine Mischung sind aus fremder Schuld und eigener Schuld.

Das gibt es natürlich, dass ich in eine Krise komme, und es ist gar nicht meine Schuld. Das gibt es auch, dass ich in eine Krise komme und es ist nur meine Schuld. Aber der überwiegende Teil der Krisen, die wir beobachten können in unserem eigenen Leben oder bei anderen Menschen, ist eine Mischung. Es ist eine Mischung aus fremder Schuld und eigener Schuld. 

Und Hagar hat hier diese Mischung. Es war ihre eigene Entscheidung, dass sie diesen Hochmut gelebt hat. Sie hätte ihn ja vielleicht noch im Herzen empfinden können, aber nicht ausleben müssen. Aber sie hat ihn ja irgendwie ausgelebt, denn Sarai hat es ja empfunden: „Die schätzt mich gering!“ Also, wie auch immer, sag ich mal, es war ihre Entscheidung. 

Natürlich ist es auch schlimm, wenn ein Mensch sozusagen stellvertretend zum Empfangen und Gebären herangezogen wird. Das ist ja vielleicht eine der tiefsten Wunden für eine Frau, wenn sie so als Leihmutter herhalten muss. Das, glaube ich, ist eines der schwersten Dinge, die ein Mensch erleben kann. Auf jeden Fall. 

Und Hagar flieht. Das lesen wir hier: „Als nun Sarai sie demütigte, floh sie von ihr.“ Und dann lesen wir hier: „Aber der Engel des Herrn fand sie bei einer Wasserquelle in der Wüste, nämlich bei der Quelle am Wege nach Schur.“ Hagar läuft davon. Oder ein bisschen krass gesagt Gott läuft ihr nach. Und was wäre aus Hagar geworden, wenn Gott ihr nicht nachgegangen wäre? Habt ihr das mal überlegt? In einer orientalischen Welt? Als schwangere Frau? Schon entehrt, sage ich mal. Als schwangere Frau: unversorgt ohne Schutz. Das war hochgefährlich. Das war hochgefährlich. Gott geht ihr nach. Er sendet ihr einen Engel. Der Engel des Herrn sprach zu ihr – und es ist sehr interessant – „Kehre wieder um zu deiner Herrin und demütige dich unter ihre Hand.“ 

Ich glaube, dass es Situationen in unserem Leben gibt. Da müssen wir bereit sein, Demütigung zu tragen. Ich kann mich erinnern in meiner Lehre, da hat mein Meister mich vor versammelter Mannschaft – hat er alle reingeholt – hat gesagt, ich wäre unfähig als Automechaniker, ich wäre gerade gut genug, Öl abzulassen. Alles andere könne man mir nicht übertragen. Was war der Hintergrund? Es kam ein Auto in die Werkstatt, da waren die Räder locker. Der Kunde hat es auf der Autobahn gemerkt und der ist ... – der hat getobt! – in der Werkstatt, drin – getobt hat der: was wir für eine Werkstatt wären! Der Meister hat nachgeschaut, wer an dem Auto gearbeitet hat. Ich habe an dem Auto gearbeitet. Da hat er mich vor versammelter Mannschaft gefragt, ob ich an dem Auto gearbeitet habe. Dann habe ich gesagt: „Ja, wenn es auf dem Ding steht, dann war ich es offensichtlich.“ (was soll ich jetzt da in Abrede stellen?) Und dann hat er mich vor versammelter Mannschaft – er hat sogar die Leute aus dem Büro raus alle reingeholt; alle waren da versammelt – und hat mich vor versammelter Mannschaft zur Schnecke gemacht.

Das war eine Woche vor meiner Hochzeit. Meine Frau hat das nicht erfahren, weil ich das für mich behalten habe. Das habe ich erst nach der Hochzeit erzählt. Ich war gottfroh, dass ich danach zwei Wochen Hochzeitsurlaub hatte. Und ich habe gezittert, wo der Hochzeitsurlaub vorbei war, weil der Meister hat noch gesagt, dass mein Geselle, der mich ausgebildet hat – der war im Urlaub – er hat gesagt: wenn der Geselle kommt, dann entlässt er ihn wegen mir; weil er das nicht kontrolliert hat. 

Ich kam nach meinem Hochzeitsurlaub in die Werkstatt. Mich hat niemand angesprochen. Mein Geselle war noch da. Ich frage irgendeinen anderen Gesellen: „Gab es da noch ein Nachspiel wegen der Sache?“ Da sagt der: „Och, da sind in der Zwischenzeit noch viele Autos mit lockeren Rädern reingerollt; bei uns in die Werkstatt“. Da denke ich „Ohhhh! Du wirst doch nicht noch andere Autos nicht richtig angezogen haben?“

Und was hat sich herausgestellt? Der Es gibt so einen Drehmomentschlüssel. Der Drehmomentschlüssel, den wir alle in der Werkstatt benutzt haben. Wir hatten einen Drehmomentschlüssel. Da sind wir immer hingelaufen. Wenn wir Räder angezogen haben... – ...haben wir die [Schrauben] nachgezogen. Der Drehmomentschlüssel war kaputt! Der hat angezeigt – ... dass er richtig ... dass er richtig ... der knackt dann an einem bestimmten Punkt ... beim Knacken hörst du dann auf – der hat angezeigt, dass das richtige Drehmoment erreicht ist. Und der war defekt. 

Mein Meister hat sich nie bei mir entschuldigt. Nie. Es wäre so einfach gewesen, wieder alle reinholen und zu sagen „Thomas, es tut mir leid, ich habe dir Unrecht getan.“ Er hat sich nie entschuldigt. Derselbe Meister hat mir später, als ich einen Fehler gemacht habe, von hinten mit der Hand – mit der Faust! – eine Kopfnuss auf den Kopf gegeben, dass ich eine halbe Stunde später immer noch Kopfweh hatte. 

Es gibt Situationen im Leben, da muss man auch lernen, sich zu demütigen. Ich hätte ja wegspringen können. Ich hätte ja sagen können. Wisst ihr was? Unter so einem Meister arbeite ich nicht weiter. Aber mei! Es ist... – mein Vater hat mir beigebracht „Lehrjahre sind keine Herrenjahre.“ Und dann bleibt man halt. Und die Lehrjahre sind dann auch irgendwann vorbei. Und dann hat man es hinter sich, sage ich mal. 

Aber es gibt so Momente im Leben, wo man lernen muss, sich zu demütigen. Wohl dem Menschen, ich sage es mal, der gelernt hat, sich zu demütigen und daran nicht kaputt geht. Das möchte ich ganz deutlich dazu sagen. Es gibt Menschen, die daran kaputtgehen, weil sie kein Umfeld haben, das ihnen sonst zeigt, wie wertvoll sie sind oder was sie können oder wie auch immer. Der Geselle, den ich den dann später gefragt habe – wisst ihr, was der zu mir gesagt hat? (Das ist ein bisschen blöd, wenn ich das als Christ hier sage?) Aber der hat zu mir gesagt: „Weißt du, der Hirscher ist, wie er ist. Lass ihn halt spinnen.“ Hat mein Geselle zu mir gesagt. „Der Hirscher ist, wie er ist. Lass ihn halt spinnen.“ Da habe ich mir gedacht „Okay. Mein Meister ist, wie er ist. Lass ich ihn halt spinnen.“ Okay. So viel zu dem Thema. 

Gott schickt Hagar zurück in die Demütigung und dann gibt er ihr aber eine Verheißung für ihren Sohn mit. Er sagt: „«Ich will deine Nachkommen so mehren, dass sie der großen Menge wegen nicht gezählt werden können.» Weiter sprach der Engel des Herrn zu ihr: «Siehe, du bist schwanger geworden, du wirst einen Sohn gebären, dessen Namen sollst du Ismael nennen, denn der Herr hat dein Elend erhört.»“ Es geht jetzt noch weiter. Ich will mir das Weitere jetzt sparen. Aber in diesem Zusammenhang sagt sie dann: „Sie nannte den Namen des Herrn, der mit ihr redete: «Du bist ein Gott, der mich sieht.», denn sie sprach: «Gewiss habe ich hinter dem her gesehen, der mich angesehen hat.»“ 

Also in dieser Erfahrung, dass Gott sie ihr nachgeht, dass er ihr begegnet, hier im Engel am Brunnen, dass er ihr eine Wegweisung gibt, was sie tun soll, dass er ihr eine Verheißung für ihren Sohn gibt und sagt Das wird kein namenloses Kind, das wird... – auf diesem Kind liegt mein Segen... – erfährt sie, dass Gott sie sieht. Und das formuliert sie dann auch: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ 

Nun, wenn man sich die Frage stellt: jetzt hat sie ja Gott real erlebt; eine Heidin. Vielleicht hat sie Gott zum Ersten Mal in ihrem Leben real erlebt. Das wissen wir nicht genau, aber vielleicht zum Ersten Mal. Da müsste man doch sagen „Jetzt hat jemand Gott kennengelernt! Jetzt geht es... – jetzt geht sein Leben so steil nach oben oder zumindest flach nach oben. Jetzt hat sie den Gott kennengelernt, der sie sieht. Und jetzt können die Krisenzeiten sozusagen aufhören.“ 

Wer die Bibel gut kennt, der weiß: So ist es nicht. Nur weil wir die Erfahrung machen, dass Gott uns sieht, bedeutet es nicht, dass wir eine ununterbrochene Gottesnähe erleben. So einfach ist es nicht im Leben. Eine einmalige Erfahrung, dass Gott mich sieht, bedeutet nicht, dass mein Leben jetzt eine ununterbrochene Folge von Gotteserlebnissen ist; mit absoluter Gottesnähe. Wer das glaubt und das erwartet, wenn er zum Glauben kommt, der kommt oft in ganz tiefe Krisen, weil er merken wird: so leicht ist das nicht mit dem Glauben. Und so leicht ist das nicht mit uns Menschen und mit Gott. 

Und in Kapitel 21 im ersten Mose, wird dann schon die nächste Krise beschrieben, in die Hagar hineinrutscht. Das ist 14 Jahre später. Das ist auch sehr interessant. Man muss das auch mal in der Bibel registrieren, dass wenn die Menschen mit Gott eine Erfahrung gemacht haben, dass dann oft zwischen der eigenen Erfahrung und der anderen Erfahrung Jahre liegen. Bei uns ist es ja so: wenn ich schon eine Woche nicht direkt erfahre, dann verzweifle ich schier: Gibt es den jetzt gar nicht oder bin ich jetzt kein richtiger Christ? Oder was ist jetzt eigentlich los? Aber in der Bibel gibt es durchaus zwischen der einen tiefen Gotteserfahrung und der nächsten tiefen Gotteserfahrung auch Jahre dazwischen, wo mal nicht so viel tiefgreifende Erfahrung ist.

Und in Kapitel 21 wird uns dann beschrieben, dass Hagar wieder in einer ganz ähnlichen Situation ist. Sie ist im Prinzip wieder auf der Flucht, aber diesmal ist sie weggeschickt. Diesmal entscheidet sie nicht selbst, dass sie flieht, sondern dieses Mal weist Abram sie aus dem Lager hinaus. 

Und der Hintergrund ist der, dass Isaak auf die Welt gekommen ist, dass er gerade entwöhnt. Die feiern ein sogenanntes Entwöhnungsfest. Man kann sagen entwöhnt. Wenn ich es richtig verstehe, bedeutet [das]: er wird nicht mehr gestillt. Kann man wahrscheinlich im Orient sagen: [da] war der vielleicht drei Jahre alt oder so ungefähr, sage ich mal. 

Auf jeden Fall der Isaak, der wird von dem 14 Jahre älteren Ismael – wird, der ... ich sag mal mit meinen Worten – getriezt. Die eine Übersetzung sagt, der Ismael hätte mit dem Isaak gescherzt. Aber das hebräische Wort, das hier steht, kann man [auch] anders übersetzen. Der Luther hat es auch anders übersetzt. Der schreibt „Der Ismael hat Mutwillen getrieben mit dem Isaak.“ Und ich stelle mir das so vor (das war ja für den Isaak auch nicht so leicht – zu wissen: jetzt ist der geboren worden, dem die ganze Liebe des Vaters von Abram und von Sarai gehört und [jetzt ist] der geboren worden, der man alles erben soll und so weiter und so fort. Und ich stelle mir das so ein bisschen so vor, dass der so gesagt hat: „Na, du kleiner Pimpf, was machst‘n du hier?“ - und immer so immer so... Und die Sarai, die trifft die Entscheidung – oder spürt – „Ich will nicht, dass mein Sohn mit diesem Sohn erbt.“ 

Jetzt mal ein ganz kleiner Exkurs: Wir sind ja alle so humanistische Christen, gell? Wir haben ja manchmal mit der Bibel auch unsere Probleme – weil, wir würden sagen: „Okay, das ist doch normal, das jetzt der Ismael seinen Ärger am Isaak auslässt.“ Und wie kann jetzt da die Sarai entscheiden, dass die Frau aus dem Lager gewiesen werden muss? Und der Höhepunkt kommt noch: Gott bestätigt es! In Kapitel 21 lesen wir, dass Abram dieses Wort sehr missfiel, dass er Ismael ausstoßen sollte. Aber Gott sprach zu ihm: „Lass es dir nicht missfallen wegen des Knaben und der Magd. Alles, was Sarai dir gesagt hat, dem gehorche. Denn nur nach Isaak soll dein Geschlecht benannt werden.“ Also Gott bestätigt es noch, dass der Ismael hier keinen Raum mehr haben soll, und dass Abram sozusagen die Entscheidung fällen soll, die Hagar und ihren Sohn aus dem Lager zu weisen! 

Das ist so eine Stelle, wo wir verstehen müssen: das Alte Testament verstehen wir manchmal nur aus dem Neuen Testament. Wir würden sagen „Das ist doch unmenschlich!“ Weil – wir werden [es] gleich sehen – diese Frau ist dadurch wieder in eine lebensbedrohliche Situation gekommen. Wir würden sagen, das ist doch unmenschlich. Gott, bist du ein unmenschlicher Gott, dass du solche Entscheidungen sozusagen noch bestätigst? 

Aus dem Neuen Testament wissen wir aus dem Galaterbrief, dass Hagar und Sarai zwei Bünde sozusagen repräsentieren. Hagar repräsentiert den alten Bund, den Bund, wo im Prinzip aus menschlicher Möglichkeit ein Sohn entstanden ist. Sarai repräsentiert den Bund, wo keine menschliche Möglichkeit mehr da war und wo alles nur durch Gottes Möglichkeit entstanden ist. Und das repräsentiert im Grunde genommen... – das ist für uns als neutestamentliche Christen ganz wichtig! – das repräsentiert im Grunde genommen die Gesetzesreligion, wo ein Mensch aus eigenen Möglichkeiten versucht, vor Gott gerecht zu werden. Und dann der Isaak repräsentiert eigentlich dass, wo etwas entsteht, was nur aus Gottes Möglichkeiten entsteht. Also die Religion, sage ich mal, die nur durch Gott entsteht. 

Und der Galaterbrief sagt dann, dass der, der ausgewiesen worden ist – sozusagen der Isaak – zeigt, dass die Gesetzesreligion, die Anhänger der Gesetzesreligion, nicht erben werden mit den Menschen, die Kinder Gottes sind allein durch das Wirken Gottes. Das bedeutet ganz konkret, dass wenn du Deinen Glauben nur so verstehst, [dass Du glaubst] Du musst Gott beweisen, dass du sozusagen gerecht bist, dann wirst du eines Tages in der Ewigkeit nicht angenommen sein. Wenn du [aber] begreifst, dass wir als Menschen aus unseren eigenen Möglichkeiten nicht gerecht werden können vor Gott. Und du nimmst dieses Geschenk an, das Jesus uns gibt – und du sagst: „Ich bin ein Kind Gottes. Nicht aus meiner Kraft. Nicht, weil ich so eine weiße Weste habe. Sondern weil Gott mich liebt“ – dann wirst du angenommen werden; dann wirst du in der Ewigkeit sein.

Gestern Abend war ich in einer Pfingstgemeinde. Hochinteressante Erfahrung. Ich predige auch in Pfingstgemeinden. Ich habe da wenig Berührungsscheu. Da hat ein Mann ein Lied selbst gedichtet; da hat er so seine Liebe zu Jesus beschrieben. Und in diesem Gedicht kam immer wieder [vor], dass seine Liebe nur dadurch entstanden ist, dass Jesus ihn lieb gehabt hat. Und das ist es. Genau von dem reden wir sozusagen. 

Zurück zu unserem Text. Im Alten Testament geschieht hier etwas für uns völlig Verwirrendes. Aus dem Neuen Testament heraus bekommt es seinen Sinn. Und es ist sehr häufig so, dass wir manches Mal die Verzahnung finden müssen und dann Dinge tiefer verstehen. Hagar kommt auch hier wieder in eine lebensbedrohliche Situation. Kapitel 21 berichtet das folgendermaßen: „Da stand Abram früh am Morgen auf, nahm Brot an und einen Schlauch mit Wasser, legte es Hagar auf ihre Schulter, dazu den Knaben, und schickte sie fort. Da zog sie hin und irrte in der Wüste umher bei Berscheba. Als nun das Wasser in dem Schlauch ausgegangen war, warf sie den Knaben unter einen Strauch, ging hin, setzte sich gegenüber von ferne einen Bogenschuss weit. Denn sie sprach: «Ich kann nicht Ansehen des Knaben Sterben.» Und sie setzte sich gegenüber und erhob ihre Stimme und weinte.“ 

Haben wir Mütter unter uns? Könnt ihr nachempfinden, wie verzweifelt die Hagar war? Ich glaube, selbst wir Väter können das nachempfinden, obwohl wir nicht so tiefe Bindungen mit unseren Kindern haben wie die Mütter. Aber wenn ich erleben würde, wie mein Kind am Verdursten ist? Wenn mein Kind schreit und ich habe kein Wasser? Das ist ja unglaublich! 

Und an dieser Stelle lesen wir dann „Da erhörte Gott die Stimme des Knaben. Und der Engel Gottes rief Hagar vom Himmel her und sprach zu ihr «Was ist dir, Hagar? Fürchte dich nicht, denn Gott hat gehört die Stimme des Knaben, der dort liegt. Steh auf, nimm den Knaben, führe ihn an deiner Hand. Denn ich will ihn zu einem großen Volk machen.» Und Gott tat ihr die Augen auf, dass sie einen Wasserbrunnen sah. Da ging sie hin und füllte den Schlauch mit Wasser und tränkte den Knaben.“ 

Sie hat formuliert: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Hier fällt die Formulierung nicht. Aber sie hat wieder eine tiefgreifende Erfahrung gemacht: dass da ein Gott ist. Diesmal der, der sie hört; oder der den Knaben hört. Versteht ihr? Und ich glaube, das sind zwei ganz tiefliegende Erfahrungen im Leben von gläubigen Menschen dass wir die Erfahrung machen: „Es gibt einen Gott, der mich sieht.“ Und: „Es gibt einen Gott, der mich in meiner Not erhört.“ Das sind mit die tief liegenden Erfahrungen, die wir mit Gott machen können. 

Und worauf es mir ankommt, ist, dass wir verstehen: es gibt so ein Wechselspiel im Leben. Wenn ihr mal die Psalmen lest, dann lest ihr in Psalm 13 einen Satz, da formuliert ein Psalmbeter: „Herr, mein Gott, warum hast du mich verlassen?“ Warum schrei ich zu dir und du bist nicht da? Und fünf Psalmen weiter, in Psalm 18, formuliert ein Psalmbeter: „Herr, du bist meine Burg, du bist meine Feste. Ich habe dich in der Not angerufen und du hast mich gehört.“ Und wisst ihr, was das Interessante ist? Es ist ein und derselbe Mensch. Es ist David. Es ist ein und derselbe Mensch, der [jenen] Psalm formuliert hat und diesen Psalm formuliert hat. 

Das heißt doch im Grunde genommen, in unserem Leben als Gläubige gibt es ein Wechselspiel. Es gibt durchaus Krisen und Zeiten, wo wir uns von Gott verlassen fühlen und wo wir, ja wo uns fast manchmal die Panik ergreift. Und dann gibt es Zeiten in unserem Leben, wo wir Gott erleben dürfen. Und das gehört zusammen. Und trotzdem halten wir fest: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ 

Ich möchte euch jetzt... – wir haben zu diesem [Thema] am Jahresabschluss in Freyung einen Erzählgottesdienst gehabt oder einen Zeugnisgottesdienst. Ich möchte euch jetzt noch ganz kurz was daraus erzählen. Als wir über diesen Text gepredigt haben und die ersten aufgestanden sind und was erzählt haben, kommt eine alte Frau nach vorne, die Lydia. Die ist 71 jetzt geworden gestern. Und sie sagt: „Ich muss euch was erzählen!“ 

Sie kommt nach vorne und ich weiß nicht, ob ihr das gehört habt; das war vor kurzem in Passau: Die Situation, dass ein LkW Fahrer in der Fußgängerzone Menschen umgefahren hat. Und sie war genau an diesem Tag genau zu dieser Zeit in Passau. Sie kauft ein in einem Geschäft und sie hat es eilig, weil sie noch in ein anderes Geschäft will. Und sie kauft ein und – und es geht nicht weiter an der Kasse. Sie hat sich furchtbar geärgert, dass es nicht weitergeht an der Kasse, dass die da geratscht haben und gemacht haben und die Frau nicht in die Gänge gekommen ist, sage ich mal, dann ist sie endlich fertig und denkt „Okay. Jetzt kann ich endlich rübergehen zu dem Geschäft.“ Da trifft sie eine Bekannte und die erzählt und die erzählt und die erzählt. Und sie ärgert sich, weil sie denkt: „Mensch, ich muss doch da rüber in das Geschäft!“ Auf einmal Sirenen. Blaulicht. Sie geht raus. Sie guckt rüber. Genau das Geschäft, wo sie hinwollte. Und sie merkt: „Das war Gott, der verzögert hat, dass ich da hingekommen bin; rechtzeitig. Denn wenn ich auf dem Weg dahin gewesen wäre, hätte es vielleicht mich erwischt.“ Hätte. Er war zumindest ihr innerer Schluss aus dieser ganzen Sache. Sehr, sehr interessant. 

Wir haben einen Bruder, der traumatisiert ist aus seiner Familiengeschichte und der oft ganz tiefe Verzweiflungssituationen erlebt. Das können wir uns, glaube ich, wenn man nicht traumatisiert ist, nicht vorstellen, wie verzweifelt er sich da in diesen Situationen fühlt. Und er hat dann immer folgendermaßen gedacht... – der hat, das hat er uns da sehr eindrücklich erzählt an diesem Abend – ... der hat immer gedacht: „Ich muss noch mehr Predigten hören! Ich muss noch mehr Geistliches tun! Damit ich so stark werde, dass ich diese traumatische Situation bewältigen kann!“; sozusagen. Das war immer diese Sache sozusagen. 

Und immer wieder kamen diese Verzweiflungsmomente, so dass er das Gefühl hat, „Jetzt ist es nicht nur so, dass mein Leben nicht gelingt. Jetzt ist es sogar noch so, dass mein Glaube zerbricht! Jetzt zerbricht mein Glaube!“ Und her hat zu Gott gesagt: „Ich kann nicht mehr! Ich kann nicht mehr!“ Und dann ist ihm ein Gedanke gekommen. Er hat in den früheren Jahren – weil das schon Jahre so geht – hat er eingeübt, [dass] wenn er [...] ein bestimmtes wichtiges Wort bekommt, schreibt er das auf und tut es in ein Kästchen. Und dann hat er gedacht – in seiner ganzen Verzweiflung hat er gedacht: ich gehe jetzt zum Kästchen und ziehe da mal was raus, was ich früher geschrieben habe. Er hat nicht hingeguckt und hat das rausgezogen. Und wisst ihr, was er gezogen hat? Das Wort, wo Jesus [zu] Petrus sagt: „Ich habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört“. Das zieht der da raus! Und er hat uns beschrieben, was das mit ihm gemacht hat. Versteht ihr, wie [ihn] das aufgebaut hat? Wie ihm das Halt gegeben hat in dieser schwierigen Situation? Er hat noch ganz viele andere Stellen erzählt, wo man gemerkt hat, Gott hat ihn mitten in seiner Verzweiflung... – immer hat er ihm noch mal was unter die Füße geschoben, dass er nicht gefallen ist. Eine interessante Erfahrung. Ja. 

Ich möchte eine der jüngsten Erfahrungen von uns sagen. Ich weiß noch nicht genau, wie das [...] ausgeht, aber es ist eine sehr interessante Erfahrung. Wer den letzten Rundbrief gelesen hat, der weiß ja: wir haben einen [...] jungen Bruder aus Bolivien unterstützt, dass er für drei Monate nach Deutschland kommen kann. Und es ist ganz verrückt, wie das zustande kam, weil: wir haben im Mitarbeiterkreis besprochen „Wir brauchen ganz, ganz, ganz, ganz dringend junge Leute.“ 

Ein paar Tage später steht eine völlig fremde Frau bei uns im Café und fragt nach dem Thomas Mayer. Ja, der bin ich. Wer bist denn du? Die Janina Friesen. Ich kenne keine Janina Friesen. Janina, sag ein paar Worte zu dir. Wer bist du überhaupt? Und so ist klar geworden, es ist eine Christin, die wohnt in Passau. Sie kommt eigentlich aus Paraguay. Sie hat [...] beide Staatsangehörigkeiten, und sie hat einen bolivianischen Freund. Und sie wollen gerne heiraten. Und sie will gerne, dass der nach Deutschland kommen kann. Aber dazu braucht sie einen Arbeitgeber. Dann fragt sie mich „Kannst du nicht meinen Freund einstellen?“ 

Du bist ja lustig! Also ich kenne ja deinen Freund gar nicht. Also erstmal weiß ich nicht, was kann der? Wer ist der? Kann ich dem vertrauen? Und so weiter und so fort. Du bist ja lustig, sage ich, aber es hat mich... – es hat mich berührt. Ich habe gedacht, vielleicht ist das der Weg Gottes, wie er uns zu Mitarbeitern kommen lässt.

Dann habe ich gedacht „Okay, Janina, pass auf, jetzt machen wir Folgendes: Ich erkundige mich, wann er nach Deutschland kommen könnte.“ Und dann habe ich mich erkundigt und dann ist es klar geworden: Ich kann ihm dazu verhelfen, dass er drei Monate über ein Touristenvisum nach Deutschland kommen kann. Das ist auch schon aufwendig. Da muss man Bürgschaft leisten, da muss man Krankenkasse bezahlen, da muss man Flug bezahlen. Also das haben wir alles bezahlt und haben dem ermöglicht, dass der drei Monate nach Deutschland kommt. 

Und im Hinterkopf habe ich natürlich schon die Hoffnung gehabt ratet mal welche. Ich habe natürlich die Hoffnung gehabt: vielleicht gefällt es dem so [sehr] in der Lebensgemeinschaft – ist ein junges Paar; wenn die dann heiraten – vielleicht bleiben die bei uns und vielleicht werden die Mitarbeiter so. Und dann habe ich einen Absturz... – manchmal... kennt ihr das? dass man [einen] jähen Absturz erlebt im Leben? – weil der kam dann... Und dann habe ich am nächsten Tag mit ihm geredet. Der kann schon ein bisschen Deutsch oder eigentlich relativ gut Deutsch. Und ich habe ihm gefragt Jonathan, wie stellst du dir denn dein Leben vor? Ich habe dem gesagt „Also wenn du Interesse hast, jetzt leb erst mal bei uns mit. Und wenn du dann Interesse hast, so und es gefällt dir bei uns, können wir ja auch überlegen, ob du hier bei uns einsteigst und so.“ Dann sagt er mir. Ich möchte Mechatroniker werden. Scheibenkleister. Ich habe eine Bäckerei. Er will Mechatroniker werden. Und er will – er will wirklich Mechatroniker werden. Er will nicht nur... – nicht: Er würde gerne Mechatroniker werden, aber im Notfall wird er auch Bäcker. Nein, er will Mechatroniker werden. 

Okay, das heißt, schon am zweiten Tag, nachdem er da war, war meine Hoffnung zerstört. So, jetzt sage ich euch, was in mir vorgegangen ist. Ich habe im nächsten Moment mit mir gerungen und mir gedacht „Okay. Setzt du jetzt noch ein für das junge Paar? Ja oder nein?“ Dann habe ich mir gedacht „Das sind zwei Christen. Die sind jung, die brauchen Hilfe. Die sind in einer sehr schwierigen Situation. Die lieben sich schon seit drei Jahren. Es gibt keinen Weg, dass sie zusammenkommen. Ich setze mich für sie ein!“ 

Dann habe ich mich für sie eingesetzt. Das hat einiges gedauert. Wir haben sogar eine Lehrstelle von Jonathan gefunden, bei Mercedes Hirschvogel in Passau, eine der renommiertesten Firmen, die es überhaupt in Passau gibt. Und ich habe immer so still für mich gedacht Gott, ich mache das jetzt einfach, weil... – ...weil du sagst, wir sollen Menschen lieben. Und meine Not gebe ich dir. 

Da bin ich jetzt zuletzt in der Gemeinde in Hutthurm. Und die fragen mich ja immer. Die Leute fragen mich ja immer „Wie geht es dir?“ „Okay!“, habe ich mir gedacht, „Das sage ich jetzt mal vorne, dann muss ich es nicht jedem einzeln sagen.“ Dann sage ich, was wir da erlebt haben mit dem Jonathan: dass wir auch die Freude erlebt haben, dass er, ganz kurz bevor er zurück musste nach Bolivien, als die drei Monate abgelaufen sind, noch diese Zusage der Lehrstelle für ihn bekommen haben.

Und dann sage ich so ganz authentisch. „Wisst ihr was? Wir haben für dieses junge Paar gesorgt und wir haben es gern getan.“ Aber manchmal steigt in mir die Frage auf Wer sorgt eigentlich für mich und für die Irmi? Wir werden nämlich immer älter und unsere Kräfte nehmen ab. Wer sagt eigentlich für mich und für die Irmi? Und dann habe ich gesagt „Wisst ihr was? Ihr könnt nicht für mich sorgen. Ich kann das nicht machen. Geben wir es Gott.“ 

Dann haben wir gebetet und dann steht nach dem Gottesdienst ein Ehepaar [auf und] kommt zu mir. Ich kenne die nicht, ich habe die noch nie in meinem Leben gesehen. „Wir hätten Interesse. Wenn es eine Möglichkeit gibt. Wir würden gern bei euch mitarbeiten.“ Sie ist Sozialpädagogin, Er ist ein Allrounder. Und genau das brauchen wir, weil wir kein Geld haben, ihn völlig einzustellen. Er muss sich einen Teil seines Gehaltes selbst reinarbeiten. Und die haben beide Brüche im Leben. Die haben vor ihrer Bekehrung... – hat sie schon Scheidung erlebt. Er hat vor seiner Bekehrung eine Suchtgeschichte erlebt. Sie sind aber frei. Sie sind schon seit sechs Jahren verheiratet. Sie haben [...] drei eigene Kinder. Also Sie kennen Brüche. Das ist für uns wichtig. Wenn jemand mit unseren Leuten arbeitet, braucht er Barmherzigkeit mit Menschen, die Brüche haben. Er muss auch vielleicht mitfühlen können mit Menschen, die Brüche haben.

Auf jeden Fall: In der vergangenen Woche haben wir besprochen, dass der am 1. Februar anfängt. Zu 60 % (100 % hätten wir gar nicht tragen können). Zu 60 % auf eigenen Wunsch. Ich musste ihm nicht sagen „Ich kann dich nicht zu 100 % einstellen.“, sondern erst kam er und hat gesagt „Thomas, ich würde eigentlich am liebsten nur mit 80 % anfangen. Meine Frau hat gerade ganz neu ein Kind bekommen. Wir haben noch keine Wohnung usw. Jetzt hat sogar auf 60[%] reduziert. Von sich aus. Das ist für uns ein Traum, weil: wir können sofort starten. Dieses Geld haben wir. Wir können den sofort bezahlen. Ich weiß noch nicht, was daraus wird, aber wir reden ja über das: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ 

Und ich rede jetzt nur mal von meinem subjektiven Erleben: wir sorgen permanent für andere Menschen. Und wo werden wir versorgt? Und auf einmal tut sich eine Tür auf. Wir haben ewig lang... – ich muss... – ich muss ehrlich gestehen, ich habe mir innerlich schon [lange] gedacht „Wahrscheinlich wird Gott es mir zumuten, dass ich mit 70 immer noch die Lebensgemeinschaft leite, weil da kein Mensch ist, der da bereit ist, damit einzuspringen; weil es teilweise so kompliziert und so schwierig ist.“ 

Aber Gott, „Gott ist ein Gott, der sieht.“ Und es wäre für mich hochinteressant, wenn jetzt noch jemand hier in der Mitte wäre. Ich kenne mindestens eine... – ich kenne mindestens eine Person, die die auch erlebt hat, dass Gott sie sieht. Hier. Aber die wird wahrscheinlich jetzt nicht die Freiheit haben, so was davon zu erzählen. Aber mindestens eine kenne ich noch. 

Aber es wäre mal interessant, wenn ihr aus eurer Mitte mal so einfach die Freiheit hättet zu sagen „Ja, wo habe ich mich von Gott verlassen gefühlt? Wo hat er mich gesehen? Wo habe ich mich verlassen gefühlt? Wo hat er mich erhört?“ Ich glaube, dass das ganz wichtig ist. 

Und jetzt schließe ich mit einem letzten Wort und damit muss ich wirklich mal schließen. 

Der tiefste Punkt – und das dürfen wir in den Verlassenheitszeiten nie vergessen – der tiefste Punkt, wo wir sehen können, dass Gott uns sieht, ist die Sendung Jesu. Denn da wird offensichtlich: Gott hat uns gesehen in unserer Sündennot. 

Wisst ihr, selbst wenn ich nicht mal menschlich...  – weil ich krank bin und Gott nimmt meine Krankheit nicht weg ... oder ich habe ein Problem auf dem Arbeitsplatz und Gott nimmt das Problem auf dem Arbeitsplatz nicht weg ... selbst in diesen Zeiten, wo ich mich subjektiv vielleicht verlassen fühle – bleibt immer bestehen, dass ich einen Gott habe, der mich sieht. Und das sehe ich zutiefst in der Sendung Jesu. Weil da hat Gott deine und meine Not gesehen. 


Dass wir uns nämlich durch eine Gesetzesreligion nicht selber so hocharbeiten können, dass wir eines Tages vor Gott stehen können und sagen können „Schau Gott! [Da] kannst du eigentlich froh sein, dass ich hier bin! Jetzt wird der Himmel endlich mal mit einem bevölkert, der es verdient hat!“ Nee. So ist es nicht. Im Himmel ist niemand, der es verdient hat. Kein einziger. Es sind lauter Menschen, die von Gott beschenkt wurden mit seiner Liebe. Amen.