Freitag, 30. März 2012

Alles im Griff!


Wir Menschen der Postmoderne pendeln gerne zwischen den Extremen. Ganz besonders, wenn es um den Willen geht. Unseren natürlich. Unseren freien Willen. So sind wir einerseits und ganz im Allgemeinen geneigt anzunehmen, wir hätten unser Leben völlig im Griff. Schließlich sind wir es, die entscheiden, was wir tun und was wir lassen, wohin wir fahren, was wir essen, wie wir uns kleiden und viele andere Dinge mehr. "Unter'm Strich - zähl ich!" titelt die Postbank. Und das aus gutem Grund (1). Und so fühlen wir uns auch gern: Als Herr(inn)en der Lage: absolut souverän (1) in allen Entscheidungen.

Andererseits erklärt uns die Wissenschaft mit - oberflächlich betrachtet - bestechender Logik, dass unser Wille gar nicht frei sei, sondern lediglich eine Illusion. Und gerne säßen wir dieser Illusion auf, weil diese sich durch eine nachträgliche Sinnfindung für unsere Handlungen rechtfertigt (2). Diese Sinnfindung passt natürlich, weil von uns selbst erfunden, perfekt zu unserem Weltmodell und fügt sich somit nahtlos und unbemerkt in unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit ein und macht sich auf diese Weise unsichtbar. Eine perfekte Täuschung also? Was ist nun richtig? Sind wir souveräne Herren unseres Lebens? Oder sind wir Spielbälle unserer Illusion?

Eines steht fest: An unserem Selbstverständnis und an unserer Wahrnehmung der Wirklichkeit ist, Gott sei Dank!, viel Wahres. Und doch stellt sich bei genauerer Betrachtung die Frage, ob es sich bei den im Fokus unseres Empfindens befindlichen Handlungen denn auch um wirklich wesentliche Entscheidungen handelt? Ist es nicht so, dass wir uns auch immer wieder unseren Umständen zu fügen haben und uns im Leben, öfter als uns lieb ist, Entscheidungen vorgegeben werden und Handlungsspielräume genommen werden - teils sogar durch unsere vorherigen Entscheidungen? Wer von uns hat denn schon 100%-igen Einfluss auf das Wetter, die Konjunktur oder die Weltpolitik und damit auf die Wahrscheinlichkeit nass zu werden, die Gefahr seiner Kündigung oder den Umstand eines Weltkrieges?

Ist es nicht vielmehr so, dass wir zwar einen Rahmen haben, innerhalb dessen wir uns bewegen können, den wir aber nicht überschreiten können? Frei nach dem Motto: "Wir sind frei zu entscheiden, ob wir uns einen Regenschirm kaufen, wenn es regnet, doch wir sind nicht frei zu entscheiden, ob es regnet." Das gilt zumindest für diejenigen unter uns, die sich nicht mit Unmengen Silberjodid und einem Privatflugzeug gesegnet wissen.Unser Handlungsrahmen ist also ganz offenbar beschränkt. Oder anders gesagt: Wir sind keinesfalls allmächtig.

Andererseits konstatiert Edgar Dahl in seinem Beitrag "Denn sie wissen nicht, was sie tun …": "Streng genommen haben wir es bei der Frage nach der Freiheit des Willens – ähnlich wie bei der Frage nach Gott oder der Seele – mit einem schier unlösbaren Problem zu tun. Unlösbar, weil sich Existenzaussagen nicht widerlegen und Nichtexistenzaussagen nicht beweisen lassen.". 

Und doch: ist es nicht wahr, dass, schon bevor wir uns der Absicht bewusst sind, eine Bewegung auszuführen, motorische Zentren in unserem Gehirn aktiv werden und wir dennoch die Bewegung als selbstbestimmten Willensakt erleben? Bedeutet das nicht tatsächlich, dass wir uns bei einigen Absichten über uns selbst täuschen? Ich denke, dass es so ist.

Doch: Darf man daraus wirklich pauschal verallgemeinernd ableiten, dass alle unserer Handlungen der Täuschung unterliegen? Dürfen wir einem Autofahrer, der sich gelegentlich intuitiv und vielleicht sogar reaktiv und instinktiv handelt, unterstellen, dass er gar nicht selber fährt, sondern gefahren wird? Wer den wissenschaftlichen Befund genauer analysiert wird feststellen, dass es sich bei den Untersuchungen, die zum Teil auf einen Personenkreis mit einer Hirnschädigung beschränkten, nur um einen Ausschnitt aus der Wirklichkeit handelt.

Es bleibt: Wir sind zwar "frei" machen uns aber auch hin und wieder etwas vor. Wir handeln souverän, aber begrenzt. Wir täuschen uns und sind dennoch freie Akteure. Mit anderen Worten: Wir sind nicht nur nicht allmächtig, wir sind in jedem Falle auch nicht allwissend.

Nun könnten wir an dieser Stelle, neben der Begrenztheit und Fehlerhaftigkeit menschlichen Wissens und menschlicher Freiheit auch noch auf den moralischen Aspekt der menschlichen Willensfreiheit eingehen; an dieser Stelle mag jedoch der Verweis auf ein vorangegangenes Posting (3) genügen, in dem das Thema genauer erörtert wurde, wobei auch Luther's Auseinandersetzung mit Erasmus von Rotterdam Erwähnung fand: In „Vom unfreien Willen“ zeigte Luther dabei auf, dass dem Menschen mit dem Sündenfall etwas passiert ist, von dem er sich nicht aus eigener Kraft befreien kann: Der Verlust des göttlichen Lebens und damit eine Tendenz ganz praktisch solche ethisch und moralischen Dinge zu tun oder zu lassen, die er intellektuell für falsch erachtet (siehe 3).


Doch ganz offenbar haben wir bei der ganzen Betrachtung noch etwas ganz Wesentliches übersehen: Wohin steuern wir mit unserem Leben? Genauer: Wie weit können wir steuern mit unserem begrenzten Handlungsspielraum? Wie oft ist es so, dass wir gesteuert werden? Und wohin steuern wir in den Momenten in denen wir der Illusion erliegen?

Für den, der Sein Leben in selbstgewählter Autonomie lebt, wird die Antwort lauten, dass sein Handeln unweigerlich fehlerhaft sein wird und damit, trotz allen Lernens, sein Handlungsspielraum aufgrund der Unwiderbringlichkeit des Moments und der Unumkehrbarkeit vergangener Entscheidungen, immer enger wird, bis sein Leben schließlich in der selbstgewählten und absoluten Trennung von Dem endet, der seiner unbelebten Materie das Leben einhauchte und Dem er, nicht nur in seinem Gewissen, sondern mit seinem ganzen Sein, in alle Ewigkeit verantwortlich bleibt.

Für den, der Sein Leben in die Hand des allwissenden, allmächtigen und allguten Gottes gelegt hat, sieht es auf den ersten Blick nicht anders aus: Auch er macht Fehler, auch sein Handlungsspielraum verkürzt sich. Und doch finden sich hinsichtlich seines Lebensziels im Buch der Bücher unerwartet tröstliche Antworten: Der Allmächtige, der als Einziger im Universum wirklich alles weiß; vor allem, was wirklich und auch zukünftig gut für uns ist, Er, der als Einziger im Universum wirklich alles kann; vor allem dort, wo unsere Begrenzungen uns machtlos machen, Er will unser Leben zu einem guten Ziel, ja dem besten aller möglichen Ziele führen: Zu sich selbst. Wenn wir ihn denn lassen und uns eingestehen, dass unsere Wege oft von Irrtümern und Unmöglichkeiten gesäumt sind.


Wer sein Leben so in Gottes Hände legt, für den gilt:


 „In eines Mannes Herzen sind viele Pläne;
aber zustande kommt der Ratschluss des HERRN.“


„Jedermanns Schritte bestimmt der HERR.
Welcher Mensch versteht seinen Weg?“


„Er hat alles schön gemacht zu seiner Zeit,
auch hat er die Ewigkeit in ihr Herz gelegt;
nur dass der Mensch nicht ergründen kann das Werk, das Gott tut,
weder Anfang noch Ende.“


„Ich weiß nicht, wohin Gott mich führt,
aber ich weiß, dass er mich führt.“


„Befiehl du deine Wege,
Und was dein Herze kränkt,
Der allertreusten Pflege
Des, der den Himmel lenkt!
Der Wolken, Luft und Winden,
Gibt Wege, Lauf und Bahn,
Der wird auch Wege finden,
Da dein Fuß gehen kann.“


„»Ich will dich unterweisen
und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst;
ich will dich mit meinen Augen leiten.«“


„So nimm denn meine Hände
und führe mich
bis an mein selig Ende
und ewiglich.
Ich mag allein nicht gehen,
nicht einen Schritt:
wo du wirst gehn und stehen,
da nimm mich mit.“

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(1) Wie die BBDO in einer Pressemitteilung erklärt haben laut einer Forsa-Umfrage "[...] knapp 40 Prozent der Deutschen das Vertrauen in ihre Bank verloren. Vor diesem Hintergrund ist konsequente Kundenorientierung wichtiger denn je.

Denn im Zeitalter des Web 2.0 agieren Kunden souverän in ihren Entscheidungen, sind informiert, kritisch und weniger markentreu als noch vor einigen Jahren. Die einzige mögliche Antwort darauf ist die Ausrichtung des unternehmerischen Handelns auf die Wünsche und Bedürfnisse der Konsumenten. Genau dies ist Kern des Next-Step-Programms der Postbank unter Führung des Vorstandsvorsitzenden Dr. Wolfgang Klein." (Quelle: forium.de)

(2) Der freie Wille auf dem Prüfstand, Sukhvinder S. Obhi und Patrick Haggard, spekturm der wissenschaft April 2005 (Quelle: holtzbrinck.de)

1 Kommentar:

  1. Ich interpretiere es so: Eine Entscheidung ist nicht deshalb weniger selbstbestimmt, weil wir sie unterbewusst getroffen haben. Tatsächlich macht es Gehirn-architektonisch Sinn, einen Großteil der Prozesse unterbewusst ablaufen zu lassen, um 1. schnell reagieren zu können, und 2., um lernend auf bereits vorhandenem Wissen aufbauen zu können (z.B. können wir diese Sätze lesen, ohne - wie in der ersten Klasse - jeden Buchstaben einzeln zu betrachten). Bei Bedarf und Zeit sind wir aber durchaus in der Lage, über etwas beliebig ausführlich nachzudenken und so eine bewusste(re) Entscheidung zu fällen.

    Die eigentliche Täuschung besteht darin, dass wir den unterbewussten Entscheidungsfindungsprozess nicht so genau nachvollziehen können, wie wir es gerne hätten. Unser Unterbewusstsein liefert uns zunächst nur eine erste Annäherung (Rationalisierung). Die Funktionsweise des Gehirns macht uns eine vollkommen genaue Analyse praktisch unmöglich.

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