Sonntag, 27. September 2015

Warum und wie Hochmut blind macht

Warum dieser Artikel?

Gerade heute wieder musste ich eine Erfahrung machen, die mich sehr schmerzte. Eine Erfahrung, die mich an bereits Bekanntes erinnerte und mich aufs Neue lehrte, was es mit den gesunden und auch ungesunden Formen der Kommunikation auf sich hat. Darüber, was die Grundvoraussetzungen für Kritikfähigkeit und damit für Buße und echte Umkehr sind. 

Diese Erfahrung möchte ich teilen. Denn es scheint mir grundlegend wichtig, die Mechanismen zu durchschauen, mit denen der Feind Gottes uns davon abhalten will, uns selbst im Lichte Gottes zu erkennen und das zu tun, was für den Erhalt Seiner allein lebensspendenden Gnade Grundvoraussetzung ist: Die Erkenntnis unserer Sünden. 

Ich möchte beleuchten, welches systematische Kommunikationsverhalten dazu geeignet ist, das Licht der Wahrheit - über die Wirklichkeit um uns herum aber auch über die Wirklichkeit unsere Fehler in uns selbst - von uns fern zu halten. Und zwar auf eine Weise, die es, zumindest für den Betroffenen, sehr schwierig, wenn nicht gar unmöglich, macht, sie zu durchschauen. Weil sich alles so richtig anfühlt.

Doch der Reihe nach. Was war geschehen? Und welche Erkenntnisse ergeben sich aus dieser Begebenheit? Und inwiefern sind diese für uns alle von Belang?


Der Anlass

Der Anlass war simpel: der Inhaber einer frequentierten christlichen Facebookseite lehnte einen von mir angemeldeten Blogbeitrag ab. Dabei ging es um einen, in dem rennomierten "Tabletalk" Magazin erschienenen und von mir übersetzten Artikel von R.C. Sproul jr., dem Sohn des Gründers des weltweit operierenden Werkes 'Ligonier Ministries' und dem 'Reformation Bible College', welche es sich zum Ziel gesetzt haben, die Herrlichkeit Gottes möglichst vielen Menschen nahe zu bringen.

Warum mich das schmerzte? Wer nun glaubte es läge daran, weil der von mir - mit ach so viel Mühe übersetzte - Artikel nicht gepostet wurde, dem ginge es so, wie dem Inhaber der Facebookseite: er läge falsch.

In dem Artikel mit dem Titel "Von der Gefahr des Hochmuts in theologischer Rechthaberei" (nachzulesen hier) geht es um den Hochmut der Besserwisserei - gerade auch in der Theologie. Ich hatte ihn - mein erster Fehler - auf eben dieser Facebookseite posten wollen, weil mir der Inhaber durch sein von sich selbst in unguter Weise überzeugtes, rechthaberisches und allem Anschein nach unkorrigierbares Verhalten gegenüber anderen Mitgliedern dieses Forums aufgefallen war. 

Natürlich hatte ich damit gerechnet, dass der Artikel nicht zur Veröffentlichung freigegeben werden würde. Doch hatte ich - mein zweiter Fehler - zumindest darauf gehofft, mit dem Betreiber der Seite daraufhin in einen Dialog treten zu können, der, wie ich mir wünschte, am Ende vielleicht doch dessen Einsicht, Reue, Umkehr und Busse, also seine Heiligung zum Ziel haben könnte.


Der Verlauf

Doch weit gefehlt: Was sich aus meiner Nachfrage nach der Begründung für die Ablehnung meines Posts ergab, war mehr als nur ernüchternd. Es war erhellend. Schmerzhaft, aber erhellend. 

Schmerzhaft, weil es mir erneut die Unmöglichkeit vor Augen hielt, einen Dialog zu führen, in dem die Kommunikation von den hier noch im Detail aufzuzeigenden Mängeln geprägt ist. Schmerzhaft, weil diese Mängel es mir unmöglich machten, einem Menschen zu einer gewinnbringenden Erkenntnis zu verhelfen; zu einer womöglich lebenswichtigen Erkenntis. Schmerzhaft auch, weil dieser Prozess von Unterstellungen, Beleidigungen und irrigen Behauptungen nur so strotzte. Und erhellend, weil mir - noch klarer als bisher - deutlich wurde, mit welchen Finten uns der Feind ins Bockshorn jagt und uns für die Erkenntnis der Wahrheit verblendet.

Dabei fing alles ganz harmlos an. In der initialen Antwort auf meine Frage, warum der Artikel nicht gepostet wurde, waren unter anderem folgende Aussagen zu lesen: "Der Artikel ist per se nicht schlecht. Das Problem ist nur. Mit dieser Argumentation kann man auch jegliche biblische Diskussion totschlagen und das erlebe ich seit Jahren regelmäßig sowohl im Internet als auch im realen Leben." Dann folgte die Begründung, dass "ich diese Argumentation nicht so übernehmen kann obwohl sicher richtige Aspekte dabei sind. ... Der Artikel könnte hier verunsichern weil es ohnehin schwer ist gesunde Lehre in der heutigen Zeit richtig rüberzubringen."

Wer den Artikel gelesen hat - und ich bitte meine Leser, dies zu tun - wird schnell feststellen, dass es in dem Artikel beileibe nichts gibt, was verunsichern könnte. Auch nichts, was einen etwa falschen Aspekt beinhalten würde, der dazu geeignet wäre, die gesunde Lehre zu trüben. Es wird ihn ihm lediglich sehr klar aufgezeigt, wie heimtückisch der Feind Gottes ist, indem er selbst noch unser Bemühen um theologische Korrektheit mit der Sünde des Hochmuts verdirbt. 

Ein sehr ernüchternder, demütigender und lehrreicher Artikel also.

Meine Rückfrage, was denn konkret an dem Artikel "verunsichernd" sei oder gar "falsche Aspekte" beinhalte, stellte ich dabei nicht "einfach so", sondern stellte, um eine gemeinsame Basis herzustellen, erst einmal unsere Gemeinsamkeiten heraus: die Liebe zum Wort Gottes, das Faktum, dass biblische Lehre heutzutage nicht mehr allerorten gern gehört wird und meine Bestätigung der Überzeugung meines Gegenübers, dass es zuweilen auch notwendig ist, Korrektur zu üben. Allein darauf wies ich hin, dass - meiner Erfahrung nach und auch im Einklang mit der Schrift - alle Korrektur in Liebe und Demut zu geschehen habe, nicht in besserwisserischem Hochmut, wie es ja auch der zur Veröffentlichung angefragte Artikel selbst es schon beinhaltete und wie ich es in seinen Antworten auf seiner Facebookseite schon zu lesen vermeint hatte.

Meine Fragen waren klar und bezogen sich dabei auf die Ermittlung von Fakten: Inwiefern der Betreiber der Seite in dem von mir geposteten Artikel eine Gefahr sehe? Und welche spezifischen Gedanken oder Aussagen des von mir übersetzten Artikels mein Gegenüber denn konkret als geeignet betrachte, Menschen zu verunsichern oder gar in eine unbiblische Irre zu leiten?

Die erste Antwort auf diese Fragen war noch sachlich, lenkte aber von den Fragen ab und suchte - mit der Frage, wer die Kirchenväter seien (die ich unter anderem mit dem Namen 'Augustin' beantwortete) - einen Nebenkriegsschauplatz zu eröffnen. Ich blieb jedoch beständig und bat, im Sinne des Dialoges, nochmals höflich und herzlich um die Klärung der noch offenen Fragen. 

Was dann folgte war, gelinde gesagt, interessant: Das Spektrum der Antworten reichte von belehrenden Imperativen "Also wachse im Wort und lerne das was du gelernt hast zu behalten..." bis hin zu noch weiter vom Thema (wir erinnern uns an die eigentlichen Fragen: "Was konkret an dem Artikel ist verunsichernd?" "Oder gar zur Irreführung geeignet?") ablenkenden Behauptungen, wie "Augustin ist ein Irrlehrer und ... hat den Startschuss für satanische Irrlehren gegeben ... für mich ist er kein Kirchen Väter eher ein Irrlehrer des Teufels" und gipfelte in der daraus abgeleiteten Begründung "deswegen veröffentliche ich solche scheinheiligen Ausführungen nicht". Was also zu Anfang noch ein Artikel war, der "per se nicht schlecht" ist, war nun in den Augen meines Gegenübers bereits zu "scheinheiligen Ausführungen" mutiert. 

Nach einer kurzen Klarstellung meiner sehr hohen Sicht von Augustinus (mit dem Verweis auf die grundlegende Biblizität seiner Lehre und vor allem der Vorbildlichkeit seiner, Gott über alles liebenden, Frömmigkeit) machte ich nochmals auf meine Intention aufmerksam und wies darauf hin, dass meine Fragen nicht ohne Grund gestellt seien, sondern ich vielmehr überzeugt sei, dass sich in dem betreffenden Artikel nichts widerbiblisches finden lasse. Und bat nochmals höflich um Beweise anhand von Zitaten und diesen widersprechenden Belegen aus der Heiligen Schrift. Auch verlieh ich meiner zunehmenden Sorge um die Korrigierbarkeit der Ansichten meines Dialogpartners Ausdruck.

Nun wurde der Ton schärfer: Meine Worte wurden als "Unsinn" hingestellt und dieser "Unsinn" dann (obwohl ich gar nicht mehr danach gefragt hatte) als neueste Begründung für die Nichtveröffentlichung des Artikels verwendet. Inzwischen schien meinem Gegenüber klar, wer ich sei: Worte, wie "Oberlehrer", "Heuchelei" und "Lüge" kamen ins Spiel, gekrönt von dem Vorwurf, der "Gesetzlichkeit" vorschub leisten zu wollen.

Unter Gebet mühte ich mich weiter um Liebe, Demut und Wahrhaftigkeit und wies auf die Tatsache hin, dass meine Fragen noch immer nicht beanwortet seien und dass, neben immer neuen (und großteils unhaltbaren) Behauptungen, nun auch noch Beleidigungen und Unterstellungen hinzugekommen seien, gegen die ich mich - noch immer höflich und unter Hinweis auf mein wahres Wesen - verwehrte. 


Das Problem 

An dieser Stelle wurde mir klar, wo eigentlich das kommunikatorische Problem lag: Es lag nicht in unserem Willen zum Dialog. Auch nicht daran, dass der eine nicht hätte verstehen können, was der andere sagte. 

Das Problem lag tiefer: es lag in der dem Dialog zugrunde liegenden Systematik.

Aus Vermutungen, Hypothesen und Annahmen wurden - ohne weitere Prüfung - in den Augen meines Gegenübers Fakten. Statt konkreter Antworten kamen weitere Behauptungen. Und aus den Behauptungen wurden - wieder ohne weiteres Zutun - in den Augen meines Gegenübers Beweise. Und so wurde der Dialog quasi zum diadischen Monolog. Wir redeten aneinander vorbei. Jeder von uns am anderen.

Die Schwierigkeit scheint mir dabei eine epistemologische zu sein. Und genau hier setzt der Feind an: indem er uns die Wahrheit verdunkelt und damit die Erkenntnis. Und zwar nicht nur die Erkenntis des wahren Gegenstandes des Dialoges. Sondern auch und vor allem die Selbsterkenntnis darüber, dass mir eben diese Wahrheit verdunkelt ist. 

Unser Feind ist dabei so gerissen, dass er uns auch noch dieses Faktum, diese mangelnde Erkenntnis unserer Blindheit, mit einem Pseudo-Wissen verdeckt. Wir haben doch schließlich unsere eigenen Hypothesen klar erkannt? Schließlich haben wir doch allen Grund für unsere Behauptungen? Wozu noch Fragen beantworten, wenn alles so klar scheint?

Und hier liegt die Crux. Wie schon Wittgenstein sagte: "Wahrheit ist alles, was der Fall ist." Wahrheit ist immer kongruent mit der Realität. Wahrheit beruht auf Fakten, nicht allein auf Eindrücken oder Vermutungen. Wahrheit aber erschließt sich uns durch Fragen, auf die Antworten gefunden werden, nicht durch Eindrücke oder Meinungen, die als Fakten gesetzt werden.

Wo ein Dialog jedoch die Fragen des Gegenübers nicht mehr wahrnimmt, sondern sich in immer neuen Behauptungen ergeht, die in der jeweiligen Vorstellungswelt nur als Annahmen ihren Grund haben, nicht aber in der faktischen Realität, kann keine Erkenntnis mehr geschehen. Ja, nicht einmal mehr der Beweis dieses Mangels ist möglich - denn auch dieser müsste sich ja auf Fakten stützen. Fakten die - ob in Form von Fragen und Antworten oder in Form des Beweises von Behauptungen - sich dem Zugriff des Verblendeten entziehen: Wozu noch Antworten oder Beweise, wo doch die eigene Welt schon fertig scheint? 

Statt Frage und Antwort, Gegenfrage und Gegenantwort, statt These und Antithese und letztendlich Synthese, biegt der Dialog nach der Frage ab und ergießt sich in Behauptungen. Behauptungen, die sich aus der eigenen Vorstellungswelt speisen durch Vermutungen, Annahmen, Hypothesen und Ideen. Behauptungen, die, nach dem Beweis ihrer Faktizität befragt, nur noch weitere Behauptungen zur Antwort bekommen. Der Dialog dreht sich nicht einmal mehr im Kreis sondern verhindert sich selbst.

Das Wesentlichste aber ist: auf diese Weise ist es unmöglich! zweierlei zu erkennen: die Fehlerhaftigkeit der eigenen Schlüsse als auch die Fehlerhaftigkeit der eigenen Annahmen. Und so ist der Mensch ausgeschlossen von der Erkenntnis der Wahrheit  des Gesprächsgegenstandes und von der Erkenntnis der Wahrheit, dass er von dieser Wahrheit ausgeschlossen ist - und hat doch den Eindruck, alles sei beim Besten.


Die Strategie

Somit ist die Strategie des Feindes, die er dazu benutzt, uns zu blenden und uns im Hochmut unserer vermeintlichen Besserwisserei gefangen zu halten, klar:

1. Halte Deine Annahmen, Ideen, Hypothesen und Vermutungen für Fakten
2. Halte Deine darauf basierenden Schlüsse und Behauptungen für Beweise
3. Halte Deine Beweise für Begründung genug, keine Fragen zu beantworten
4. Beantworte keine Fragen sondern stelle immer neue Behauptungen auf
5. Spicke alles (ad hominem!) mit Angriffen auf die Integrität Deines Gegenübers
6. Wenn Dein Gegenüber noch mmer nicht locker lässt: breche den Dialog ab

Ihnen allen zugrunde liegt die Wurzel des Hochmuts: zu meinen, bereits zu wissen, was Faktum ist und es nicht mehr nötig zu haben, sich einem fragenden Dialog zu stellen. Es nicht mehr nötig zu haben, nach der Wahrheit zu suchen. Wie unendlich grotesk solcher Hochmut ist, wird uns vielleicht erst dann klar, wenn wir uns vergegenwärtigen, dass es Jesus Christus selbst war, der von sich sagte, Er sei die Wahrheit in Person (Joh 14,6). 


Fazit

Der Glaube daran also, die Wahrheit bereits so vollständig erkannt zu haben, dass ich mich keiner Frage oder Rückfrage mehr zu stellen brauche, keinem beständigen Suchen nach Fakten, um aus Hypothesen Wissen zu gewinnen, kommt dem Anspruch gleich, den allmächtigen, allweisen und unendlichen Gott selbst verstanden haben zu wollen.

Diese Annahme, dieser Hochmut, macht uns - auf die oben gezeigte Weise - blind. Gott bewahre uns in unseren Gesprächen vor dieser Strategie des Feindes. Gott gebe uns, dass wir demütig genug bleiben, die Fragen unserer Dialogpartner ernst zu nehmen und sie zu beantworten und unsere eigenen Ideen und Annahmen zu hinterfragen - anstatt zu glauben, wir wüssten alle Antworten schon. Denn eben dieser Glaube ist Hochmut und führt nicht ins Licht, sondern in die Finsternis. Er macht uns blind für unsere eigenen Irrtümer und Fehler; im Reich Gottes, das auf Umkehr und Gnade ruht, der folgenschwerste Fehler überhaupt.

Samstag, 26. September 2015

Wie sollen wir mit Flüchtlingen und Asylanten umgehen?

WARUM UND WOZU DIESER ARTIKEL

Warum

Die aktuelle Flüchtlingsdebatte ist in aller Munde. Fragen über Fragen türmen sich auf. Wer soll aufgenommen werden? Wer sollte abgewiesen werden? Gibt es einen Unterschied zwischen Wirtschaftsflüchtlingen und Asylbewerbern aus Krisengebieten? Wie sollen wir mit den sozialen und finanziellen Herausforderungen umgehen?

Wozu

Ziel dieses Artikels ist es, einen Lösungsraum aufzuspannen, der Leitlinien für unsere Entscheidungen bereitstellt und damit Hilfestellungen für unsere ganz persönliche Einstellung und unsere daraus resultierenden, praktischen Entscheidungen zu geben vermag. Im Sinne von Freiheit und persönlicher Verantwortung kann und darf die Entscheidungsfindung keinem einzelnen von uns abgenommen werden. Dieser Artikel will anhand der Heiligen Schrift vielmehr ein Bild von dem zeichnen, wie Gott sich unseren Umgang mit bedrängten Minderheiten vorstellt. 

Allein der Wille Gottes und Sein sich darin für uns offenbarendes Wesen, sollten die Richtschnur für unsere persönlichen Sichten und Aktivitäten sein. Nicht mehr – aber auch nicht weniger. Diesen Willen zu erkennen, um im Alltag ganz praktische Entscheidungen daraus abzuleiten, dazu will dieser Artikel einen Beitrag leisten.


GOTTES WILLE

Gebot

Der Wille Gottes für unseren Umgang mit Flüchtlingen, Asylanten, Ausländern und anderen herausgeforderten Minderheiten, wie Witwen oder Waisen wird schon im Alten Testament mehr als deutlich. Über allem steht das große Gebot der Liebe. Konkret sind wir aufgefordert, diesen von Krieg, Verfolgung und Armut bedrohten Menschen mit der gleichen Liebe zu begegnen, die uns – uns selbst gegenüber – so selbstverständlich scheint (3.Mose 19,34b).

Begründung

Als Begründung für diese Aufforderung – und somit quasi als Motivatoren – halten das Alte und auch das Neue Testament zwei wesentliche Gründe bereit: Zum einen sollen wir unsere uns fremden Mitmenschen lieben, weil Gott selbst sie liebt (5Mose 10:17-19). Zum anderen sollten wir uns immer wieder vergegenwärtigen, dass wir, vor allem als Christen, selbst Ausländer auf unserem Planeten sind (3.Mose 19,34b;  1.Chronik 29,14-16; Psalm 39,13; 1.Petrus 2,11-12).


AUSGESTALTUNG

Doch wie kann diese Liebe praktisch werden? Wie soll sie Gestalt annehmen? Die Antwort auf diese Frage beantwortet die Heilige Schrift mit von Gott verbrieften Rechten und mit den sich für uns aus diesen ergebenden Pflichten.

Rechte

Zum Ersten gilt vor Gott der Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz. Niemand soll aufgrund seiner Herkunft oder seines gesellschaftlichen Status vor Gericht benachteiligt werden (2.Mose 12,49; 3.Mose 24,22; 4.Mose 15,15-16; 4.Mose 15,29).

Diese Gleichstellung betrifft dabei nicht nur das Wohnrecht (3.Mose 19,33-34a) sondern – und hierin besteht für uns die wohl größte Herausforderung im Umdenken und Neudenken – auch in einem Anteil am Erbe des Volkes (Hesekiel 47,22). David hatte diesen Gedanken verstanden und konkret umgesetzt: Er gab den Fremden in Seinem Lande sogar die Möglichkeit, am Bau des Heiligtums ganz praktisch mit zu wirken und so die gemeinsame Heimat auch kulturell mit zu gestalten (1.Chronik 22,1-2).

Pflichten

Aus den genannten Pflichten ergeben sich für uns als Bürger auch ganz konkrete Pflichten. Zum einen bedingt der Grundsatz der Gleichheit aller vor dem Gesetz (Legislative) auch eine praktische Gleichstellung in der Rechtsprechung (Judikative). So macht Gott unmissverständlich klar, dass Rechtsbeugung und Unterdrückung vollkommen indiskutabel sind und Seinen ungeminderten Zorn, ja Seinen Fluch nach sich ziehen (5.Mose 24,17; 5.Mose 27,19; Jer 22,3).

Vielmehr sollen wir den uns fremden Menschen unser ganzes Mitgefühl schenken, Ihnen unsere Güte und Barmherzigkeit schenken und uns in ihre Lage versetzen, indem wir daran denken, wie es ist, Ausländer und Fremder zu sein in einem fremden Land (2.Mose 23,6-9; 3.Mose 19,33-34; Sacharja 7,9-10).

Auch sind wir aufgefordert, uns in jedem Falle so zu verhalten, dass auch das bürgerliche Leben und das wirtschaftliche Überleben unserer fremden Mitmenschen gesichert ist. Im Alten Testament geschah dies durch das Verbot der Nachlese (3.Mose 19,10; 3.Mose 23,22; 5.Mose 24,19; 5.Mose 24,20+21), die Aufforderung zur pünktlichen Lohnzahlung (5.Mose 24,14-15) und – man staune! – in der Anteilhabe am Zehnten, dem damaligen Äquivalent staatlicher Einnahmen (5Mose 14:28-29)!


Zielbild

Alle bisher beschriebenen Rechte und Pflichten bleiben jedoch noch weit hinter dem zurück, was Gott mit ihnen, ihrem Wesen nach, beabsichtigt. Schließlich geht es bei allen Rechten und Pflichten nicht um rein juristische Vorschriften. Es geht um echte Liebe. Um Zuneigung und Mitgefühl. Um Güte und Barmherzigkeit.

An zwei Stellen im Alten Testament wird das, was Gott mit Seinen Geboten beabsichtigt, besonders deutlich: in der Beschreibung des Wochenfestes und des Laubhüttenfestes (5.Mose 16:9-15) und der Darbringung der Erstlingsfrüchte und des Zehnten (5.Mose 26,5-11). In beiden Fällen ist die Rede von einer frohen und freudigen Festgemeinschaft, an der sowohl das Volk Gottes, als auch die Fremden teil haben sollten:
„Und sollst fröhlich sein vor dem HERRN, deinem Gott, du und ... der Fremdling, ... die in deiner Mitte sind ... Denke daran, dass du Knecht in Ägypten gewesen bist, und beachte und halte diese Gebote ... und du sollst fröhlich sein an deinem Fest, du und ... der Fremdling, ... die in deiner Stadt leben. ... Denn der HERR, dein Gott, wird dich segnen in deiner ganzen Ernte und in allen Werken deiner Hände; darum sollst du fröhlich sein.“ (5.Mose 16:9-15)
und weiter:
„Dann sollst du anheben und sagen vor dem HERRN, deinem Gott: Mein Vater war ein Aramäer, dem Umkommen nahe, und zog hinab nach Ägypten und war dort ein Fremdling ... Aber die Ägypter ... bedrückten uns ... Da schrien wir zu dem HERRN, ... Und der HERR erhörte unser Schreien und sah unser Elend, unsere Angst und Not und führte uns aus Ägypten mit mächtiger Hand ... und gab uns dies Land, darin Milch und Honig fließt. Nun bringe ich die Erstlinge der Früchte des Landes, das du, HERR, mir gegeben hast. - Und du sollst sie niederlegen vor dem HERRN, deinem Gott, und anbeten vor dem HERRN, deinem Gott, und sollst fröhlich sein über alles Gut, das der HERR, dein Gott, dir und deinem Hause gegeben hat, du und ... der Fremdling, der bei dir lebt.“ (5.Mose 26,5-11)

Das Ziel aller Gebote und Ordnungen Gottes ist also unmissverständlich: herzliche Gemeinschaft zwischen Bürgern und Fremden, die sich nicht nur in der Jurisdiktion und Rechtsprechung auswirkt, sondern von Herzen kommt. Eine Gemeinschaft, die dafür sorgt, dass ausnahmslos jedem nicht nur die gleichen Rechte eingeräumt und diese auch eingehalten werden, sondern dass herzliche Freundlichkeit, Güte und Barmherzigkeit unseren Esprit prägen. Eine Liebe, die letztendlich darin ihren Ausdruck findet, dass selbst die höchsten Jahresfeste gemeinsam und mit Freude gefeiert werden können.


AUSBLICK

Angesichts der aktuellen Situation bleiben viele Fragen offen. Fragen, die in diesem kurzen Artikel nicht nur nicht beantwortet werden, sondern die an vielen Stellen sogar nicht einmal aufgeworfen werden konnten. Dennoch möchte das hier aufgezeigte Leitbild einen Lösungsraum aufspannen, in welchem ganz konkrete Entscheidungen getroffen und Maßnahmen umgesetzt werden können. 

Wo sich unser Wille und unser Tun an der Liebe Gottes orientiert, werden wir auch Antworten auf die noch offenen Fragen finden. Letztlich ist es Gott selbst, der uns versprochen hat, uns angesichts der wirtschaftlichen und auch sozialen Herausforderungen nicht allein zu lassen: Wenn wir uns nach Seinem Willen richten, hat Er uns Seinen Segen versprochen – in allem, was wir tun (5Mose 14,29; 5Mose 24,19).

Möge Gott uns die Gnade und Weisheit geben, Seinen Willen – gerade heute! – zu tun.

Von der Gefahr des Hochmuts in theologischer Rechthaberei



TABLETALK FEBRUARY 2012, S. 27 

Von Dr. R.C. Sproul. jr.

Aus dem Amerikanischen übersetzt von Michael Künnemann 

Überlasse es den reformierten Menschen, den Punkt zu verfehlen. Wenn Paulus den Leib Christi als einen Körper beschreibt, der zum Teil aus Händen, Ohren und so weiter besteht, sind wir schnell dabei unser Revier abzustecken - wir sind das Gehirn der Kirche. Wir sind diejenigen die mit Fug und Recht so besorgt um unsere Theologie sind. Die großen Denker der Kirche waren reformiert und man könnte sicher behaupten, dass der größte Denker, in theologischer oder anderer Hinsicht, der jemals die Küsten Nordamerikas beehrte, Jonathan Edwards war.


Es steht außer Frage, dass dieser Mann einen überragenden Intellekt hatte. Wir wären gut beraten, uns zu seinen Füßen zu setzen und von ihm zu lernen. Edwards über den Willen ist unwiderlegbar genial. Edwards über die Trinität wird Dich ganz wirr im Kopf machen. Edwards war ein gigantischer Geist, dessen Brillanz nur noch von seinem aufrichtigen und leidenschaftlichen Herzen überstrahlt wurde. Sollten wir die theologische Weisheit Edwards' zu eigen machen? Natürlich, auf jeden Fall. Es wäre jedoch noch besser, wenn wir vom Hingegebensein seiner Seele kosten würden.

Natürlich erhöhen wir die Inbrunst unserer Gefühle nicht, indem wir die Aufnahmefähigkeit unseres Gehirns herunterfahren. Noch werden wir jemals die Frucht des Geistes tragen, wenn die Saat des Wortes nur in den felsigen Boden unserer Gehirne, statt in den fruchtbaren Boden unserer Herzen pflanzen. Sicher müssen wir Ihn kennen um Ihn zu lieben. Sicher müssen wir Ihn studieren, um Ihn zu kennen. Doch niemand hat Ihn gründlicher studiert, als der Teufel und es hat ihm nicht im Mindesten gut getan. 

Erst vor einigen Wochen, während ich schreibe, öffnete das Reformation Bible College seine Türen zum ersten Mal. Der erste Kurs, den ich lehrte, hat einen ziemlich pompösen Namen: ST101 Theologische Prolegomena. Diese hochgestochene Überschrift bedeutet so ungefähr "Einführung in die Systematische Theologie". Es ist das Studium, welches wir betreiben, bevor wir unser Studium beginnen. Geschichtlich gesehen würde ein solcher Kurs, einleuchtender weise, mit der Lehre der Offenbarung beginnen, untersuchend, wie Gott Sich Selbst in Seinem Wort und der Natur offenbart. Er würde Kernpunkte des Kanons berücksichtigen und verschiedene Theorien der Inspiration. Wir werden, letztendlich, zu diesen wichtigen Punkten kommen. In einem anderen Semester werden wir unsere Aufmerksamkeit dem zuwenden, was wir "Theology Proper" [d.i. "Vom Wesen Gottes", ein Teilbereich der Systematischen Theologie, Anm. d. ÜS.] nennen, dem effektiven Studium des Wesens und der Eigenschaften Gottes. Ungeachtet des Unterrichtsstoffes dieses künftigen Kurses, begannen wir diesen ersten Kurs mit einem klassischen Werk, The Holiness of God.

Meine Befürchtung, im Blick auf diesen ersten Kurs war, dass wir in die Falle gehen würden, in die schon so viele reformierte Menschen tappten. Ich befürchtete, dass wir, selbst mit den herrlichen Wahrheiten der Schrift, dabei landen würden, den Ohren zu schmeicheln. Ich wäre schuldig, den Ohren zu schmeicheln, wenn ich, in meiner Lehre, die Studenten dazu ermutigte zu dem Schluss zu kommen, "Was für ein pfiffiger Mensch ich doch bin!" anstatt: "Was für ein herrliches Evangelium hat einen so elenden Sünder wie mich gerettet." Ich wollte uns, durch das gemeinsame Studium dieses Buches, ermöglichen, in den Spiegel Seines Charakters und Seiner Herrlichkeit zu sehen, um zu erkennen, abscheulich wir sind. I wollte, dass wir etwas vom Umfang Seiner Transzendenz verstehen auf dass wir jemals versucht wären, zu dem Schluss zu kommen, dass unsere Studien in den Himmel reichten, wie der Turm zu Babel. Ich hatte Angst um meine Studenten, gerade weil ich mich erinnerte, wie ich als Student so war. Mit was für einem cleveren Teufel wir doch kämpfen, der unser Studium einwandfreier Theologie in eine Gelegenheit zum Stolz verwandeln kann

Wir werden nicht gesund werden, bis wir diese offenkundige Wahrheit annehmen: Pfiffig zu sein ist keine der Früchte des Heiligen Geistes. (Hervorhebungen durch den ÜS.) Natürlich haben wir Gott mit unserem ganzen Verstand zu lieben. Doch wir sollen Gott mit all unserem Verstand lieben, Ihn nicht bloß verstehen. Wenn unser Wissen die Distanz von unseren Köpfen hinunter zu unseren Herzen nicht durchqueren kann, leiden wir unter geistlicher Leere. Wir werden nicht anfangen gesund zu werden, bis wir diese offenkundige Wahrheit annehmen: Wir kommen ins Königreich nicht als Wissenschaftler oder Studenten, sondern als Kinder.

Kurz: Wir werden nicht gesund werden wenn und bis wir nicht lernen aufzuhören, akademischem Respekt nachzulaufen, und zu beginnen, das Königreich Gottes und Seine Gerechtigkeit zu suchen. Wir sollen alle irdische Sorge hinter uns lassen. Wir sollen aufhören, zu suchen, was die Heiden suchen. Die Frucht der Liebe, ist letztendlich die Frucht des Geistes. Liebe zeugt Liebe. Liebe bringt Freude hervor. Liebe spendet Frieden. Geduld, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut und Selbstdisziplin: all diese brechen hervor wie die großen Reben voll Trauben, welche die Israelitischen Späher im Gelobten Land fanden. Keine von diesen kommt jedoch hervor von dem unfruchtbaren Boden unserer intellektuellen Neugier, viel weniger noch von der verbrannten Erde intellektuellen Stolzes.

Edwards war ein großer Mann Gottes. Das war er jedoch, weil er erstrebte, ein Mann Gottes zu sein, anstatt ein großer Mann zu sein. Dass seine Nachkommenschaft Senatoren und Gouverneure waren, Professoren und Universitäts-Rektoren, bedeutete ihm gar nichts. Dass sie demütig dem Sohn des Zimmermanns aus Galiläa folgten - das war, was er hoffte und wofür er betete und arbeitete. Das ist die Frucht der Nächstenliebe.
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Dr. R.C. Sproul Jr. ist Lehrbeauftragter bei Ligonier Ministries, Gründer von Highland Ministries und Autor von Bound for Glory: A Practical Handbook for Rainsing a Victorious Family. Folge ihm auf Twitter @RCSproulJr.