Sonntag, 31. März 2013

Die kanaanäische Frau (Mt 15:21-28)

Text
 
21 Und Jesus ging weg von dort und zog sich zurück in die Gegend von Tyrus und Sidon. 22 Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. 23 Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Laß sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. 24 Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel. 25 Sie aber kam und fiel vor ihm nieder und sprach: Herr, hilf mir! 26 Aber er antwortete und sprach: Es ist nicht recht, daß man den Kindern ihr Brot nehme und werfe es vor die Hunde. 27 Sie sprach: Ja, Herr; aber doch fressen die Hunde von den Brosamen, die vom Tisch ihrer Herren fallen. 28 Da antwortete Jesus und sprach zu ihr: Frau, dein Glaube ist groß. Dir geschehe, wie du willst! Und ihre Tochter wurde gesund zu derselben Stunde.


Kommentar

Zusammenfassung
Nach seinem Rückzug aus Galiläa in die großen Hafenstädte des götzendienerischen Syrien wird Christus von einer heidnischen Mutter mit der flehentlichen Bitte um Befreiung ihrer von einem Dämon geplagten Tochter bedrängt. In vier Stadien der Prüfung ihres Glaubens und ihrer Demut widerfährt ihr von Christus zuerst Schweigen, dann Ablehnung durch seine Nachfolger, eine niederschmetternde und demütigende Antwort durch Christus selbst mit dem Hinweis auf Seine Sendung und letztlich, angesichts ihres noch immer unerschütterlichen Glaubens und demütigen Gebets, die freie Gnade der Gebetserhörung.


Struktur

21
Jesus zieht sich aus dem Machtbereich der Pharisäer und Römer nach Syrien zurück.

22-23a Eine Mutter aus dem heidnischen Kanaan bittet um die Befreiung ihrer Tochter aus der plagenden Gewalt eines Dämons und erntet anfangs nur Christi Schweigen.

23b-24 Die Frau lässt in ihrem Gebet nicht nach und seine Jünger, die ihrer ledig werden wollen, erfahren von Christi Missionsauftrag, der dem Anliegen der Heidin entgegensteht.

25-26 Die Frau wagt einen dritten Anlauf, fällt Christus anbetend zu Füßen und erhält eine abweisende, läuternde und demütigende Antwort mit dem Hinweis auf Christi Sendung und Auftrag.

27-28 In ihrem vierten und letzten Versuch demütigt sich die Frau, gegen jede Hoffnung glaubend, unter die Heiligkeit und Souveränität Christi und erfährt die Gnade der Erhörung.


Inhalt

21 Nach seiner Auseinandersetzung mit den Pharisäern in Genezareth zog Jesus sich aus Galiläa in die römische Provinz Syrien, genauer: in die Gegend der beiden großen Hafen- und Handelsstädte Tyrus und Sidon zurück. Möglicherweise allein zum Schutz vor dem Zorn der Pharisäer (siehe Mt 15:12) aber auch heraus aus dem Machtbereich Herodes Agrippas (vgl. Kommentar zu Mt 14:13a). Aus eben diesem Gebiet kamen später viele Menschen, um ihn zu hören (Mk 3:8; Luk 6:17).

22-23a Die Frau, die sich Jesus nahte kam also aus Kanaan, dem Land des Sohnes Hams, des jüngsten Sohnes Noahs, den sein Vater dazu verfluchte, seinen Brüdern und deren Nachkommen für immer ein Knecht zu sein, weil er die Blöße seines Vaters aufgedeckt hatte (1Mo 9:22-28). Dem Land, dessen Völker Gott aufgrund ihres Götzendienstes vertilgen wollte. Dem Land, von dem er Seinem Volk geboten hatte, die darin befindlichen Götzenopferstätten zu vernichten und sich aus demselben keine Frauen zu nehmen, damit sie Sein Volk nicht verführten (2Mo 23:23-24, 5Mo 7:1-5); dem Land, in dem „Milch und Honig fließen“ (2Mo 3:8.17, 13:5). Doch trotz Ihres abgöttischen Umfeldes wusste diese Frau offenbar, wer Jesus wirklich war, denn sie nennt ihn "Sohn Davids", das ist der Titel des Messias, des geistlichen Nachkommen König Davids (Rut 4:22, Jes 11:1ff, Mt 1:6a, Apg 13:22).

Diese Frau also kommt aus dem verfluchten und götzendienerischen Land westlich des Jordans und doch wendet sie sich an Jesus, den sie als Christus und Messias erkennt und dem sie sich in ihrer Not anvertraut: Ihre Tochter wird von einem Dämon grauenvoll malträtiert. Und in ihrer Mutterliebe schreit sie ihre Not heraus und fleht Christus an, sich ihrer zu erbarmen. Doch unser Herr antwortet ihr kein einziges Wort. Dieses Schweigen angesichts so großer Not und so großer Mutterliebe scheint uns unverständlich, hart und bitter. Wie kann unser Heiland, der "HERR, Gott, barmherzig und gnädig und geduldig und von großer Gnade und Treue" (2Mo 34:6) so kalt und herzlos auf ein so inbrünstig dargebrachtes Gebet reagieren? Und doch bleibt Christi Schweigen vorerst die einzige Antwort, die diese Frau erhält.

So erleben auch wir es oft in unserem Glaubensleben hier auf Erden. Und mit dieser Erfahrung sind wir nicht allein, im Gegenteil: wir sind bester Gesellschaft. Denn so erlebte es schon David, der Mann nach dem Herzen Gottes, als er dichtete:
"HERR, wie lange willst du mich so ganz vergessen?
Wie lange verbirgst du dein Antlitz vor mir?
Wie lange soll ich sorgen in meiner Seele
und mich ängsten in meinem Herzen täglich?"
(Ps 13:2-3)
"Meine Tränen sind meine Speise Tag und Nacht,
weil man täglich zu mir sagt: Wo ist nun dein Gott?"
 
(Ps 42:4)
"In der Zeit meiner Not suche ich den Herrn; meine Hand ist des Nachts ausgereckt und lässt nicht ab; denn meine Seele will sich nicht trösten lassen. Ich denke an Gott - und bin betrübt; ich sinne nach - und mein Herz ist in Ängsten ... Meine Augen hältst du, dass sie wachen müssen; ich bin so voll Unruhe, dass ich nicht reden kann. ... Ich denke und sinne des Nachts und rede mit meinem Herzen, mein Geist muss forschen. Wird denn der Herr auf ewig verstoßen und keine Gnade mehr erweisen? Ist's denn ganz und gar aus mit seiner Güte, und hat die Verheißung für immer ein Ende? Hat Gott vergessen, gnädig zu sein, oder sein Erbarmen im Zorn verschlossen? ... Ich sprach: Darunter leide ich, dass die rechte Hand des Höchsten sich so ändern kann." (Ps 77:3-5.7-11)
"Ich harre des HERRN, meine Seele harret, und ich hoffe auf sein Wort.
Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen;
mehr als die Wächter auf den Morgen..." (Ps 130:5-6)

Auch Hiob und Jeremia wissen von solchen schrecklichen Wüstenzeiten zu berichten. Hiob sprach: 
"Er hat meinen Weg vermauert, dass ich nicht hinüberkann, und hat Finsternis auf meinen Steig gelegt. Er hat mir mein Ehrenkleid ausgezogen und die Krone von meinem Haupt genommen. Er hat mich zerbrochen um und um, dass ich dahinfuhr, und hat meine Hoffnung ausgerissen wie einen Baum" (Hi 19:8-10)

Und Jeremia klagt: 
"Ich bin der Mann, der Elend sehen muss durch die Rute des Grimmes Gottes. Er hat mich geführt und gehen lassen in die Finsternis und nicht ins Licht. Er hat seine Hand gewendet gegen mich und erhebt sie gegen mich Tag für Tag. Er hat mir Fleisch und Haut alt gemacht und mein Gebein zerschlagen. Er hat mich ringsum eingeschlossen und mich mit Bitternis und Mühsal umgeben. Er hat mich in Finsternis versetzt wie die, die längst tot sind. Er hat mich ummauert, dass ich nicht herauskann, und mich in harte Fesseln gelegt. Und wenn ich auch schreie und rufe, so stopft er sich die Ohren zu vor meinem Gebet. Er hat meinen Weg vermauert mit Quadern und meinen Pfad zum Irrweg gemacht." (Kla 3:1-9)

23b-24 Doch trotz dieser Erfahrung lässt die Frau nicht locker. Wie die Blinden auf der Straße nach Jericho (Mt 20:31) schreit sie Jesus weiter nach und wie die bittende Witwe im Gleichnis vom ungerechten Richter (Lk 18:1ff) hört sie nicht auf, ihn mit ihrem inbrünstigen Gebet zu bestürmen. Als derart penetrant empfinden die Jünger ihr Geschrei, dass sie Jesus bitten, sie doch auf die eine oder andere Weise fortzuschicken; mit oder ohne Gebetserhörung. Jesus aber antwortet ihnen (nicht ihr!) und offenbart den Grund seines Schweigens: er konzentriert sich, im vollkommenen Gehorsam gegenüber unserem Vater im Himmel, allein auf das, was ihm zu diesem Punkt in der Heilszeit aufgetragen ist: die Suche nach den verlorenen Schafen Israels (Lk 4:43, Apg 10:45, 13:46, 18:6, Rö 11:11.25).

25-26 Ungeachtet der genervten Jünger kommt die Frau bis vor Jesus und fällt ihm anbetend zu Füßen, nennt ihn ihren Herrn und fleht ihn noch einmal um die so sehr ersehnte Hilfe an. Die Antwort, die Jesus ihr nun gibt scheint noch härter, vernichtender und entwürdigender, als sein vormaliges Schweigen: Er spricht von Recht und Unrecht, von Gottes Kindern und gar von Hunden.

Noch heute ist in südlichen Ländern -und nicht nur hier- das Wort 'Hund' eine schwere Beleidigung. Angesichts solcher Worte regt sich in unserer gefallenen Seele der Stolz, der sich über den Erlöser erheben will, um Ihn zu fragen, ob Er noch bei Sinnen sei? Doch genau diesem Stolz, dieser seit Adams Fall in uns wirksamen Ursünde, begegnet Christus hier in souveräner Heiligkeit und Wahrheit: Er war noch nicht für die Sünden der Welt gekreuzigt (1Joh 2:2), der Vorhang war noch nicht zerrissen (Mt 27:51) und der Zaun zwischen Heiden und Juden war noch nicht abgebrochen (Eph 2:13-14). Es ist die Wahrheit was Er spricht: Er war zu jener Zeit allein gesendet zu den verlorenen Schafen Israels (s.o.). Mit dieser Antwort zerstört Er jeden Wahn eines Anrechts auf Erlösung, jede Vorstellung auf einen pflichtgemäßen Lohn aus Werken (Rö 4:4) und jede Regung sündigen Stolzes, der Erhörung verlangt, statt demütig und ergeben um sie zu bitten. Und wäre die Frau nur von einer dieser Herzenshaltungen motiviert gewesen, sie wäre sicher beleidigt, erzürnt und aufgebracht von dannen gezogen.

27-28 Doch sie ordnet sich Jesu Autorität unter und antwortet ihm demütig und ergeben: "Ja, Herr!". Und dennoch lässt sie ihr Anliegen nicht und erniedrigt sich selbst und stellt sich somit in den Gnadenschein der Verheißung Gottes auf Erhörung ihres Gebetes (Mt 23:12). Sie anerkennt, dass ihr sündiges Wesen Grund genug ist, Christi Anrede als 'Hund' zu rechtfertigen. In ihrem Innersten weiß sie, das Jesaja die Wahrheit sprach als er sagte: "Aber nun sind wir alle wie die Unreinen, und alle unsre Gerechtigkeit ist wie ein beflecktes Kleid" (Jes 64:5).

Und doch lässt sie in ihrem Gebet nicht nach und wurde, wie Abraham, "...nicht schwach im Glauben, ..., sondern wurde stark im Glauben und gab Gott die Ehre" (Rö 4:19-20). Und so bittet sie demütig und noch immer voll Inbrunst, dass Christus ihr, aus freien Stücken, doch wenigstens ein paar Brösel Seiner Gnade schenken möge. Und dieser Glaube, der -entgegen aller eigenen Unwürdigkeit und Unfähigkeit und Hoffnungslosigkeit- allein an Gottes Gnade festhält, wird am Ende belohnt: Jesus lobt ihren Glauben und erfüllt ihren Herzenswunsch: noch im gleichen Augenblick schenkt er ihrer Tochter die ersehnte Gesundheit.


Praktische Anwendung

1. Wenn Christus zu Deinen auf Seinem Wort ruhenden Bitten schweigt: bete weiter!
2. Wenn Christus Dein auf seiner Verheißung ruhendes Gebet zurückweist: bete weiter!
3. Und wenn Er es auch lange hinziehen mag, um Deinen Stolz zutiefst zu demütigen, so lange, bis all' Deine Hoffnung auf Gottes Verheißungen ganz und gar dahin scheint: dann füge Dich Seiner souveränen Züchtigung und: bete weiter!, denn es steht geschrieben: "Siehe, wir preisen selig, die erduldet haben. Von der Geduld Hiobs habt ihr gehört und habt gesehen, zu welchem Ende es der Herr geführt hat; denn der Herr ist barmherzig und ein Erbarmer." (Jak 5:11)

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