Sonntag, 25. November 2012

Gedenke Deines Gegners


Von Keith A. Mathison - Übersetzung aus dem Amerikanischen von Michael Künnemann

Ich wurde von der Wahrheit reformierter Theologie überzeugt während ich das Dallas Theological Seminary besuchte – die Flaggschiff-Institution dispensationaler Theologie. Einige meiner Mitstudenten beschuldigten mich des Abfalls, als sie herausfanden dass ich den Dispensationalismus abgelehnt hatte. Nachdem ich meine fünf Punkte-Calvinisten-Uniform angelegt hatte, nahm ich denjenigen gegenüber, die dem Dispensationalismus verpflichtet blieben, eine Haltung an, die bevormundend und herablassend war. Spott wurde eine Hauptwaffe in meinem Arsenal. Bei meiner Ankunft am Reformed Theological Seminary landete ich sogleich inmitten von Debatten zwischen Studenten über Themen die mir nicht geläufig waren – Debatten über Theonomie, apologetische Methodologie und weitere – und die in Dallas nicht an der Tagesordnung waren. Ich war nicht in der Lage, viel zu solchen Diskussionen beizutragen und doch fuhr ich in meinem Spott der Dispensationalisten fort. 

Ich war im was Michael Horton das "Käfigstadium" nennt – jenen Zeitraum, während dessen ein frisch zur reformierten Theologie Konvertierter in einen Käfig eingesperrt werden sollte; zu seinem eigenen Besten und dem Besten der Anderen um ihn herum. Während des "Käfigstadiums" ist der reformierte Anfänger-Konvertit oft ärgerlich, dass ihm die Lehre der Gnade nicht eher vermittelt wurde. Er kann sich der Tradition gegenüber, aus der er kam, besonders giftig verhalten, und wehe denen, die in dieser Tradition bleiben (ob Dispensationalismus oder etwas anderes). Sie werden oft als intellektuell unterlegen angesehen, weil sie nicht in der Lage sind, die einfache Wahrheit der Schrift zu sehen, welche der Mega-Hirn-Calvinist sieht. Sie werden zur Zielscheibe des Spotts und das Ziel von Sarkasmus und Hohn. Der Grad der Arroganz und des Stolzes, das man während des Käfigstadiums erreichen kann, ist kaum zu begreifen und schrecklich anzusehen.

Ich weiß nicht ob John Newton etwas Vergleichbares wie das "Käfigstadium" durchgemacht hat, nachdem er zu Christus kam. Was ich weiß ist, dass sein Brief "Über den Streit" ["On Controversy", Anm. d. ÜS.] mir geholfen hat zu sehen, was ich getan hatte. Newton schrieb diesen Brief an einen Mitpfarrer der gerade plante, die Feder gegen einen anderen Pfarrer zu erheben, den er im Irrtum glaubte. Das ist manchmal notwendig, doch Newton gibt uns einige weise Ratschläge, wie man es anstellen sollte. In seinem Brief gibt er seinem Freund den Rat über drei Dinge nachzudenken: seinen Gegner, seine Zuhörerschaft und sich selbst. In diesem Artikel werden wir betrachten, wie wir im Streit über unsere Gegner zu denken haben. Newton beginnt diesen Abschnitt seines Briefes mit einem sehr weisen Ratschlag; er schreibt:

Was deinen Gegner angeht so wünschte ich, dass, bevor du die Feder gegen ihn zu Papier bringst und während der ganzen Zeit in der du deine Antwort vorbereitest, du ihn in ernsthaftem Gebet der Lehre und dem Segen des Herrn anbefehlen mögest. Diese Übung wird eine unmittelbare Tendenz haben, dein Herz zu versöhnen, ihn zu lieben und sich seiner zu erbarmen; und solch eine Verfassung wird einen guten Einfluss auf jede Seite haben, die du schreibst.

Haben Sie jemals daran gedacht für die zu beten, mit denen sie in irgendeiner Art von Streit verwickelt sind? Es scheint offensichtlich, doch wir neigen dazu, uns in der Hitze des Gefechts so zu verfangen, dass wir leicht vergessen es zu tun. Wir betrachten unseren theologischen Gegner in der Weise wie ein Soldat einen gegnerischen Kombattanten betrachtet – als jemanden, der zu zerstören ist, bevor er uns zerstört. Auf diese Weise degenerieren theologische Debatten in calvinistischen Kreisen manchmal in das verbale Äquivalent der World Wrestling Federation. Hätten wir für die zu beten, mit denen wir Streitgespräche führen, wir wären weniger zu Zorn und Arglist Ihnen gegenüber geneigt.
Dann erläutert Newton dass wir daran denken sollten, ob unser Gegner ein Gläubiger ist oder nicht.
Wenn du ihn als Gläubigen ansiehst, wenn auch höchst irrend bezüglich des zwischen Euch [stehenden] Diskussionsthemas, so sind die Worte Davids an Joab bezüglich Absalom sehr treffend: „Verfahrt mir schonend mit meinem Sohn Absalom!“ Der Herr liebt ihn und hat Geduld mit ihm; darum darfst Du ihn nicht geringschätzen oder ihn grob behandeln. Der Herr hat in gleicher Weise Geduld mit Dir und erwartet, dass Du Anderen Zartheit zeigst angesichts der vielen Vergebung die Du selber brauchst. In einer kleinen Weile wirst Du ihn im Himmel treffen; dann wird er Dir teurer sein, als es der engste Freund, den Du auf Erden hast, jetzt ist. Sieh diesen Zeitraum in Deinen Gedanken voraus; und obwohl Du es erforderlich finden magst, Dich seinen Fehlern entgegenzusetzen, betrachte ihn persönlich als eine verwandte Seele, mit der Du in Christus ewig glücklich sein sollst.
Wie oft vergessen wir das.
Wie oft vergessen wir, Brüder in Christus wie Brüder in Christus zu behandeln – jene, die der Vater liebt und jene mit denen wir die Ewigkeit im neuen Himmel und der neuen Erde teilen werden.
Auf der anderen Seite, wenn wir unseren Gegner als einen Ungläubigen ansehen, sollten wir daran erinnert werden: „das hätte auch mir passieren können“. Gott hätte eher dessen Augen öffnen können, als unsere. Wir müssen demütig bleiben. Wir müssen uns daran erinnern, dass auch wir von Gott entfremdet waren. Auch wir waren Feinde des Herrn. Unser Gebet in diesem Fall sollte für seine Bekehrung sein und wir haben vorsichtig zu sein, dass wir nichts tun, was unnötige Stolpersteine in seinen Weg legt. Wir sollten in der Hoffnung sprechen oder handeln, dass unsere Worte von Gott benutzt werden, um diesen Menschen zum Glauben und zur Buße zu bringen.
Newtons Brief ermutigt uns, unseren Gegner im Streit so zu behandeln, wie wir selbst behandelt werden wollen würden; und wenn wir alle etwas nicht leiden können, ist es, falsch dargestellt oder verleumdet zu werden. Wir müssen darum jede Anstrengung unternehmen, die Ansicht unseres Gegners akkurat wiederzugeben. Auch wenn Newton sich nicht explizit mit diesem Thema beschäftigt, ist es doch in seinen Worten impliziert.

Das neunte Gebot verbietet uns, unserem Nächsten durch Lügen zu schaden (2Mo 20:16). Diejenigen, die Christus folgen, haben nicht falsches Zeugnis gegen andere Menschen – theologische Gegner oder sonst wen – abzulegen (2Mo 23:1, 3Mo 19:11.14.16). Die Position eines Gegners inmitten einer theologischen Kontroverse falsch darzustellen, heißt, die Person zu verleumden und Verleumdung ist ein Beispiel der üblen Verwendung von Worten und Sprache (Jak 4:11).
Die Ansicht jener, mit denen wir nicht einig sind, falsch darzustellen ist nicht nur unlauter, es ist sinnlos. Wir müssen uns bemühen, die Ansichten unserer Gegner ehrlich darzustellen. Einen Strohmann zu verdreschen ist eine sinnlose Übung und lässt uns dabei töricht aussehen. Man kann einen Gegner nicht vom Fehler seiner Ansicht überzeugen, wenn man gegen eine Ansicht argumentiert, die dieser Gegner gar nicht vertritt.
Lasst uns denn danach streben, in Meinungsverschiedenheiten unseres Gegners zu gedenken. Lasst uns daran denken, für ihn zu beten, behutsam mit ihm umzugehen und uns mit dem höchsten Maßstab der Aufrichtigkeit mit ihm zu beschäftigen.

Dr. Keith A. Mathison ist Mitherausgeber des Tabletalk Magazins, Dekan und Professor an der Ligonier Academy of Biblical and Theological Studies und Autor des Buches From Age to Age: The Unfolding of Biblical Eschatology.

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